Ein Fisch wie eine Frisbee-Scheibe

Küche Zu Unrecht wird über den Karpfen gespottet. Er schmeckt nicht jedem – aber das gehört dazu, wenn etwas überhaupt nach etwas schmeckt
Ausgabe 38/2021

Ich melde mich aus dem Urlaub in Unterfranken. Ist man zwischen Würzburg und Nürnberg unterwegs, dann gibt es zwei Klassiker der fränkischen Küche, die man bestellen muss. Selbstverständlich Schäufele mit Kloß, der Braten von der Schweineschulter steht überall auf der Karte. Der andere ist Karpfen fränkisch, also gebacken. Er ist so eine Delikatesse, dass er nur selten angeschrieben wird. Aber die Einheimischen wissen Bescheid. Eines Abends hörte ich am Nebentisch: „Gibt’s schon Karpfen?“ 20 Minuten später hatte der Gast etwas auf dem Teller, das aussah wie eine dunkelbraun gebackene Frisbee-Scheibe, und er sagte bei dem Anblick nur: „Mmh!“

Am nächsten Abend, anderes Lokal, versuchte ich es auf dieselbe Weise – und hatte Glück. Die Karpfensaison beginne erst, klärte mich der Wirt später auf, viele Lokale hätten die Speisekarten noch nicht aktualisiert.

Für gebackenen Karpfen wird der Fisch längs halbiert, in Semmelbröseln gewendet und dann frittiert. Als der Teller damit kam, musste ich an Fischstäbchen denken. Ich habe vor kurzem einen Artikel darüber gelesen, dieses Produkt ist beinahe 70 Jahre alt. Es kam am 2. Oktober 1953 in den USA auf den Markt und war Teil einer ganzen Linie von neuartigen panierten Lebensmitteln in Rechteckform, darunter Hähnchen-, Schinken-, Kalbs- und Auberginenstäbchen. Nur das Fischstäbchen blieb.

Die Verwandlung von Fisch zu Gebäck löste damals ein wichtiges Problem: die Folgen der Überfischung. Ökologisch war das noch kein Thema, aber ökonomisch. Die Motoren wurden stärker, größere, sich bald zu Fischfabriken entwickelnde Schiffe holten Fänge ein, für die es keinen Markt gab. Er musste erst geschaffen und Menschen weitab von den Küsten für Meeresfisch begeistert werden. Omega-3-Fettsäuren kannte man damals noch nicht. Anfangs wurde der Fisch in Blöcke gefroren und wie Eiscreme verpackt, die Idee war, dass sich die Hausfrau so viel absäbeln sollte, wie sie je nach Zahl der Esser:innen davon brauchte. Aber das erwies sich als unpraktikabel. Bei General Foods kam man dann auf die Idee, die Blöcke selbst zu zersägen – und entwickelte ein Verfahren dafür, tiefgefrorene Lebensmittel so schnell zu panieren und vorzufrittieren, dass sie gar nicht erst auftauten.

Geschmacklich erinnert das Endprodukt heute, wenn überhaupt an etwas, eher an Hähnchen als an Fisch. Der Fisch, der unter der Panierung steckt, trägt einen Fantasienamen: Alaska-Seelachs. Der zur Dorschfamilie gehörende Pollack hat mit Lachs nämlich nichts zu tun. Der Karpfen ist dagegen eine ehrliche Sache. Schmeckt vielleicht nicht jedem, aber das ist eben auch das Risiko, wenn etwas überhaupt nach was schmeckt.

In Franken hat die Karpfenzucht eine fast 1.000-jährige Tradition. Zu einem allseits beliebten Speisefisch ist er nie geworden. Lachs, Thunfisch, der beliebteste Süßwasserfisch ist die Forelle. Und auch auf den Titel „Fisch des Jahres“, der seit 1984 vergeben wird, wartet der Karpfen vergeblich. Nur Greenpeace hat ein Herz für ihn und hat ihn vor kurzem zum nachhaltigsten Fisch überhaupt gekürt. Sonst wird viel Leidenschaft dafür aufgebracht, Spottnamen zu erfinden: „Tümpelbruder“ etwa oder „Teichschwein“. Früher war das berechtigt. Inzwischen leben die Fische in viel saubereren Teichen, und man hat gelernt: Sie fressen keinen Schlamm, sie suchen Larven und Insekten, ihr natürliches Futter. Damit werden die Fische auch nicht so fett, sondern bleiben fleischig. Langes Auswässern aber lohnt sich nach wie vor, damit der Karpfen nicht so gründelt.

In allen Monaten mit „r“ ist Saison, sagte mir der Wirt. Das hat der Karpfen mit der Auster gemein, fällt mir auf – auch kein schlechtes Argument.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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