Ein großes Überraschungs-Ei

Der Koch Der Traum vom intelligenten Kühlschrank lebt – aber noch immer gibt es solche Geräte nur im Science Fiction, nicht in Otto Normalverbrauchers Küche. Gut so, sagt der Koch
Ein großes Überraschungs-Ei

Illustration: Otto

Der Beginn eines Jahres ist immer guter Anlass, über Trends nachzudenken. Was Küchendinge anbelangt, könnte man dazu Seiten füllen. Die behaupteten Innovationen werden immer mannigfaltiger. Besser also, man verabschiedet sich mal von Dingen, auf die wir schon viel zu lange gewartet haben.

Der Traum, dass intelligente Kühlschränke in die Küche einziehen, wird in diesem Jahr 15 Jahre alt.

Im Februar 1999 nämlich stellte Electrolux den ersten Internet-Kühlschrank vor namens "Screenfridge" vor. Es war ein Gerät, in dem eine Mattscheibe eingelassen war, mit Verbindung zum Internet und voll von Visionen. "Es besteht kein Zweifel, wenn der Screenfridge auf den Markt kommt, wird er den Alltag revolutionieren", hieß es damals in der Pressemitteilung.

Neben einem solchen Kühlschrank, quasi eine superalleskaltmachenderundumversorgende Mary Poppins, würde die eierlegende Wollmilchsau ziemlich alt aussehen, suggerierten bald auch auch anderer Hersteller. Die Geräte könnten in naher Zukunft genaue Informationen über ihren Inhalt ausspucken, Haltbarkeitsdaten im Auge behalten, daran angelehnt Rezepte vorschlagen, Videos übertragen und am Ende, wenn man wegen der hilfreichen Tipps zu viel gegessen hat, gleich noch die Diätpläne kontrollieren. Doch zum Leben erweckt worden ist die Idee nie, und sterben kann sie auch nicht. Der intelligente Kühlschrank ist ein Untoter.

Zuletzt habe ich ihn in der Neuauflage des Science-Fiction-Klassikers Total Recall von 2012 gesehen. In der Tür ist ein Touchscreen eingelassen, der Multimedia bereithält und als häusliche Mitteilungszentrale funktioniert. Doch Otto Normalverbraucher wartet darauf noch immer. Es werden zwar Jahr für Jahr teure Geräte vorgestellt, die immer mehr piepsen und blinken können: aber mitdenkende, quasi androide Helferlein sind sie nicht. Warum überhaupt konnte die Vision vom intelligenten Kühlschrank entstehen – und sich so lange halten?

Stellen wir uns dafür einfach die Position dieses Geräts in der modernen Küche vor. Der Kühlschrank hat die Vorratskammer ersetzt und ist in die Mitte des Raumes gerückt. Für viele Menschen ersetzt er den Freund, vielleicht sogar die Mutter. Kennen Sie Nächte mit Bosch, das Buch von Axel Hacke über seinen sprechenden Kühlschrank? Dann wissen Sie, was ich meine.

Leere Kühlschränke sind im Film eine Chiffre für triste, lebensunlustige Besitzer. Im echten Leben aber gilt: Tür auf – und es soll einem warm im Magen werden. Fertigessen, die in die 8-Grad-Welt oder das 3-Sterne-Fach passen, gibt es mehr als genug. Und bei vielen Menschen, übrigens auch bei mir, kleben unter Magneten auf der Außenhaut die nächsten Termine der Müllabfuhr, wichtige Telefon-Nummern, Urlaubskarten, Erinnerungen und Mitteilungen. Klar, es wäre ein Höhepunkt der Digitalisierung, wenn sie diese zentrale Haushaltsgerät erreicht.

Es wird nicht passieren. Das liegt an fehlenden Informationen. Für den intelligenten Kühlschrank müssten wir jedes Lebensmittel scannen wie an der Supermarktkasse. Oder mit Chips versehen, über die noch Restinhalt und Verfallsdatum in der angebrochenen Ketchupflasche gemessen. Vielleicht ist das mit der RFID-Technologie sogar einmal möglich. Aber ich mag die Vorstellung trotzdem nicht.

Für mich ist der Kühlschrank noch immer ein großes Überraschungs-Ei. Ein Freund und guter Mitbewohner vor allem, weil er mir unerwartet etwas Gutes tut. Vor ein paar Tagen habe ich mich gefreut, als ich sehr versteckt ein angebrochenes Glas Marmelade fand, von dem ich sicher war, es sei längst geleert. Ich habe vorsichtig probiert. Und die Marmelade war köstlich.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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