Feige: Einst war die Scheinfrucht hochverehrt

Der Koch Sie ist die Mutter all der Früchte, von denen es heißt, sie hätten im Paradies am Baum der Erkenntnis gehangen. Und auch sonst ganz wunderbar, findet der Koch
Ausgabe 52/2014
Kommt dem biblischen Manna am nächsten: Die Feige
Kommt dem biblischen Manna am nächsten: Die Feige

Foto: Westend61/imago

Es gibt Menschen, die vergleichen den Geschmack mit Schokolade. Das kommt von dieser vollmundigen Süße und dem krisselig-trockenen Biss, der entsteht, wenn man die feinen Körner einer getrockneten Feige zerkaut. Mit dem zartbitteren Schmelz von Schokolade hat das aber wenig zu tun, wenigstens aus meiner Sicht. Ich kann allerdings kaum eine Feige essen, ohne mich an das Parfüm zu erinnern, das ein Baum reifer Früchte verströmt. Fragte man mich, was dem biblischen Manna am nächsten kommt, wären das Feigen. Auf sie kann man sich immer verlassen, wenn man im Spätsommer irgendwo am Mittelmeer auf Wanderung unterwegs ist. Ob die Ruine eines verlassenen Hauses auf dem kargen Peloponnes oder die Einfahrt zur Autostrada nahe Bologna, wo ich mit ausgestrecktem Daumen stand: Es sind in meiner Erinnerung alles Schauplätze großer Gratispicknicks.

Einsam verbreiteten die Bäume ihren schweren Duft, die Äste ächzten unter der Last, diesen prallen violetten Säckchen, von denen einige schon auf den Boden gefallen waren. Es schien, als quölle fertige Konfitüre heraus. Ein, zwei Dutzend Feigen waren schnell gepflückt, ich riss sie entzwei, lutschte nur die dunkelsten Teile des Fruchtfleischs. Ich war satt bis zum nächsten Morgen. Was für ein Luxus.

Im Mittelmeerraum begegnen einem Feigen wie herrenlose Katzen, am Rande von Industriebrachen, auf Bahndämmen, hinter Abfalltonnen. Als wären sie Unkraut, das zwar überall wächst, aber vom Menschen nur im Abseits geduldet wird. Kann sein, dass das auch an der überwältigenden Anziehungskraft auf Wespen liegt, die die Früchte ausüben. Der Unterschied jedenfalls könnte nicht größer sein zu der Art, wie frische Feigen nördlich der Alpen feilgeboten werden: wie rohe Eier im Karton aufgereiht und mit Stückpreisen.

Dabei war die Feige auch im Süden einst hochverehrt. Es ranken sich viele Geschichten um sie. Sie ist die Mutter all der Früchte, von denen es heißt, sie hätten im Paradies am Baum der Erkenntnis gehangen. Wobei: Die Feige ist die einzige, von der der Botaniker nicht als Frucht spricht. Sie bildet sich nicht aus einer Blüte, sondern aus Hunderten, die sich nach innen stülpen und von einer Schale umgeben werden.

Scheinfrucht ist die richtige Bezeichnung. Die interessanteste politische Geschichte über die Feige stammt aus der Zeit der Punischen Kriege. Carthaginem esse delendam hatte Cato wochenlang im römischen Senat als Ceterum censeo an seine Reden angehängt. Und hat bis heute unzählige Nachahmer gefunden, die glauben, durch ständige Wiederholung politischer Slogans würden diese wahr. Bei Cato selbst verfing das nicht. Der Senator benutzte eine frische Feige, die er aus der Toga zog, um die gefährliche Nähe des Konkurrenten Karthago zu illustrieren. Sie sei erst vor zwei Tagen in Afrika gepflückt worden. Das überzeugte. Ob George W. Bush oder Tony Blair diese Geschichte kannten, als sie mit der Rede von Massenvernichtungswaffen 2003 den Irakkrieg auslösten?

Dass getrocknete Feigen zu Weihnachten gehören, hat einen kulinarischen Grund. Sie sind dann noch weich und haben am meisten Aroma. Lässt man sie bis Ende des Winters liegen, wird das Dörrobst oft pappsüß und hart. Feigen müssen nicht nur Bestandteil festtäglichen Backwerks sein. Sie machen sich auch in Eintöpfen oder Schmorgerichten. Ein rheinischer Sauerbraten, mit Feigen statt mit Rosinen bereitet, bekommt einen orientalischen Touch. Und zu Geflügel sind sie sogar die angestammteren Begleiter als die heute so beliebte Orangensauce. Also: Überlegen Sie, ob Sie an Weihnachten nicht „feige Ente“ machen wollen. Die schmeckt vielleicht sogar ein bisschen nach Schokolade.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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