„Gibt’s nicht“

Der Koch Unser Autor muss sich in Lokalen häufig eine Grundsatzdiskussion kneifen. Denn für ihn verhält es sich mit Flaschenbier wie mit Wein: Niemals ohne Glas!
Ausgabe 14/2017
Prosit!
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Foto: Getty Images

Biergenuss hat ein retardierendes Moment. Anders ist nicht zu erklären, warum so viele Männer beim Trinken an der Flasche hängen: die schmale Öffnung an den Mund gepresst, der Wulst am Flaschenhals leicht mit den Lippen angesaugt – schon lässt sich Bier nuckeln wie aus der Babyflasche. So weit, so gut. Menschen haben eben ihre Angewohnheiten. Aber warum dieses frühkindliche Ansetzen der Flasche auch noch als das männlichste gilt, seit kein Marlboro-Mann mehr mit der Zigarette am Lagerfeuer sitzt, das frage ich mich doch.

Beim Bier gibt es heute eine Riesenauswahl. In den Getränkemärkten sind die Kühlschränke voll mit bayerischen und fränkischen Sorten, Spezialitäten aus Belgien, Polen, Skandinavien und den USA. Bier erlebt einen Imagewandel. Vor allem Craftbeer, dessen Macher sich mehr Aroma und höherer Qualität verschrieben haben, findet immer mehr Fans. Viele Restaurants lassen sich nicht lumpen. Es gibt immer weniger Fassbier, dafür immer größere Sortimente an Flaschen.

Ich habe mir in der letzten Zeit angewöhnt, das neue Flaschenbier im Lokal so zu bestellen: „Und bitte mit Glas“. Standardantwort der Kellner: ein langgezogenes „Okaaay“, was so viel heißt wie „Ich weiß zwar nicht warum, habe aber jetzt überhaupt keine Zeit für Grundsatzdiskussionen und will daher mal nicht so sein.“ Hat meine weibliche Begleitung auch Bier bestellt, fällt das „Okay“ wesentlich kürzer aus oder wechselt sogar in ein „gerne“. Dafür kommt dann eben auch nur ein Glas – für sie. Ich war auch schon in Bars, die teure Cocktails auf der Karte haben und ein Dutzend Biere, gerne aus Kalifornien, was dann preislich mit einem guten Glas Rotwein mithalten kann. Nur eines ist nicht vorgesehen: ein Trinkbehältnis. Meine Bitte nach einem Glas wurde dort kurz beschieden: „Gibt’s nicht.“ Der Drang nach einer Grundsatzdiskussion ist bei mir dann kaum noch zu unterdrücken. Nach einem langgezogenen „Okaay“ habe ich es aber meist geschafft, dass irgendwo am Tresen noch ein Weinglas aufgetrieben wurde. Einmal fragte eine Bedienung sogar zurück: „Warum?“ Ganz einfach: wegen des Geschmacks.

Ich möchte mein Bier auch riechen können. Und damit meine ich gar nicht die Aprikosen-, Citrus- oder Maracujanoten, die in den kräftigen Buketts der hopfenbetonten neuen Biere mitschwingen. Wir schmecken über die Riechschleimhäute in den Nasenhöhlen. Hier sitzen Millionen von Sinneszellen und viel mehr Geschmacksrezeptoren als auf der Zunge. Deshalb brauchen wir Luft, um überhaupt etwas schmecken zu können. Und weil die Rezeptoren unterschiedlich im Nasenraum angeordnet sind, schmecken wir anders, je nachdem, ob wir den Geruch gerade einatmen oder ausatmen. Weinkenner, die ihre Nasen tief ins Glas hängen wissen das. Bei Bierkennern bin ich mir da alles andere als sicher.

Ich kann, ehrlich gesagt, Pils nicht von Weizen unterscheiden, wenn ich die Flasche ansetze und vorher nicht das Etikett gesehen habe. Mir fehlt Luft. Wie vielen entfährt mir ein unwillkürliches „Aaah“ nach dem Schluck. Ich denke, das ist die Notwehr meines Körpers, der beim großen Ausatmen noch irgendwas in der Nase spüren will.

In meiner Nachbarschaft liegt eine belgische Bierbar. Sie ist die Lösung all meiner Probleme. In Belgien versteht man sich auf ätherischen Biergenuss, es gibt breite Schalen, damit Bier atmen kann wie Wein. Es gibt für jedes Gebräu sogar einen individuellen Pokal. Nur das scheint mir ein wenig übertrieben.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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