Niemand zweifelt in Venezuela am Willen der Wähler. Allein das ist eine gute Nachricht aus einem Kontinent, wo nach der Stimmabgabe in der Regel noch temperamentvoller über Ergebnisse gestritten wird. Aber beide Seiten dürfen sich als Sieger der Regionalwahlen fühlen: Die konservative Opposition hat ihre Gouverneursämter verdoppelt, Hugo Chavez aber die Mehrheit in den Provinzen verteidigt. Nachdem sie sich noch vor kurzem mit Wahlboykott respektive der Mobilmachung der Armee gedroht hatten, beschwören beide Lager nun die demokratische Kultur im Land und verweisen auf die Rekordwahlbeteiligung. Doch diese 65 Prozent sind auch ein Indiz dafür, wie hoch polarisiert die venezolanische Gesellschaft inzwischen ist. Hugo Chavez hat vor allem dort verloren, wo sein Siegeszug vor zehn Jahren begann, in den Armenviertel der großen Städte. Dort sollten die Wohltaten der bolivarischen Revolution zuerst wirken, dort leiden die Menschen heute am meisten unter explodierenden Lebensmittelpreisen, Korruption und hoher Kriminalität. El Jefe, der die Wahlen zu einem Referendum über sein gesamtes politisches Projekt ausgerufen hatte, hat keinen Anlass sich Wählerwillen auszuruhen.
Hugo ohne Stadt
Geschrieben von
Jörn Kabisch
Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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