Ich träumte von Erbsen und erntete Mangold

Der Koch Wenn im Garten wächst, was dort gar nicht wachsen soll, gibt es nur einen Weg: sich mit Lust dem Unvermeidlichen zu fügen
Ausgabe 29/2016

So ein Garten ist wie eine große WG. Man weiß nie, wer da gerade einzieht, auszieht und vor allem, wer die Küche besetzt hält. Jeden Frühling plane ich mein Gartenjahr, lege mir die Aussaat zurecht, stecke im Geiste Beete für Fenchel, Gurken, Brokkoli und Bohnen ab. Irgendwas kommt immer dazwischen. Damit meine ich gar nicht Mitfresser wie Schnecken, Blattläuse oder Kohlfliegen. Sondern das Gemüse selbst. Kartoffeln etwa. Vergangenes Jahr wuchsen sie dort, wo ich nun im Herbst Wirsing ernten will. Einige Kartoffelknollen müssen noch in der Erde stecken, sie wuchern wie verrückt und machen mit ihrem Grün dem Wirsing das Leben schwer.

Dann gibt es noch die Küchendiktatoren oder, positiv ausgedrückt, das Signaturgemüse des Jahres. Es gibt immer eine Pflanze, die sich so prächtig entwickelt, dass sie die ganze Saison dominiert. Meine kleingärtnerischen Fähigkeiten übersteigt es, das planen oder kontrollieren zu wollen. Im Stillen habe ich mir zwar ausgemalt, was für ein schönes Erbsenjahr 2016 werden wird. Aber nun haben sich aus den drei kleinen Samen, die ich im März in die Erde gesteckt habe, stattliche Mangoldgewächse entwickelt, ach was: Büsche. Einen davon habe ich ganz gekappt. Hat ihm aber nichts ausgemacht. Fleißig treibt er neue Blätter. Das Gartengetier verschmäht ihn.

Mangold also soll es 2016 werden, trotz meiner Gegenwehr. Es gibt nur ein Mittel, darauf zu regieren: sich mit Lust ins Unvermeidliche zu fügen. Also begebe ich mich einmal pro Woche in den Mangolddschungel, nehme mir die schönsten Blätter und setze noch ein paar Schnecken ab, die ich im Garten ge-funden habe. Als würde das helfen.

Einen Vorteil hat Mangold ja. Im Topf schmilzt er dahin wie Spinat. Aus einer große Tüte wird nach ein paar Minuten die Menge für eine kleine Schüssel. Aber man muss ein bisschen warm werden mit dem Gemüse. Da sind diese breiten Stiele sowie der leicht erdige Geschmack. Als ich die ersten Male mit Mangold gekocht habe, konnte ich mir gar nicht vorstellen aus den Stengeln etwas zu machen und schmiss sie in den Müll. Heute weiß ich: Gerade auf die Stengel kommt es an!

Kulinarisch gesehen ist Mangold ein Kuckuckskind des Spinats. Botanisch haben die beiden Pflanzen sehr wenig gemeinsam, die nächste Verwandte des Mangolds ist Rote Bete. In der Küche aber kann man ihn verwenden wie Spinat. Er ist nicht nur ein guter Ersatz, sondern manchmal sogar die bessere Variante. Spinat nämlich entwickelt oft einen scharfbitteren Geschmack, daher mögen ihn Kinder höchstens mit viel Sahne. Mangold ist milder. Deshalb passt er gut zu Fisch. Heute koche ich Mangold in zwei Schritten. Aus den Blättern löse ich die Stiele heraus und schneide sie in Scheiben, um sie drei Minuten in sprudelnd kochendem Wasser zu blanchieren. Grob geschnitten kommen dann die Blätter hinzu, genau so lange, bis sie schlaff werden. Um die Farbe zu erhalten, empfiehlt sich, das Gemüse kalt abzuschrecken und dann vorsichtig auszupressen. Der Batzen, den man nun in der Hand hält, ist von Spinat kaum noch zu unterscheiden.

Vermengt mit Ei und Semmelbröseln, lassen sich Küchlein ausbacken. Ich mache meist einen Salat, mit geröstetem Sesam, Sojasoße, etwas Essig, Ingwer und Knoblauch – ein Rezept aus der koreanischen Küche. Oder mit Korinthen und Pinienkernen, so wie in Spanien Spinat zu Tapas verarbeitet wird. Obwohl ich schon so viel ernte: Auf dem Teller könnte immer mehr sein.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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