Kann Obst in einem kalten Sommer auch wärmen?

Koch oder Gärtner Die Eingeweide rufen bei der Wetterlage nach herbstlichem Eintopf mit Schweinfleisch, aber der Wochenmarkt bietet Obst in allen Variationen. Was tun?

In diesen Tagen wünsche ich mir jeden Morgen eine Wettervorhersage wie im britischen Radio – mit der Vielzahl von launigen Beschreibungen, für die unsereins meist nur einen Begriff kennt: "wechselhaft". Englische Wochen – das ist der deutsche Hochsommer 2011: "breezy, partly cloudy with a chance of slight rain".

Für den Koch heißt das: Er steht samstags im Pulli fröstelnd auf dem Wochenmarkt und überlegt, was da jahreszeitlich angemessen ist. Die Eingeweide rufen nach einem herbstlichen Eintopf mit Kohl und Schweinefleisch. Aber der Markt gibt sich sommerlich-mediterran. Da liegen pralle Auberginen, schwere Zucchini, reife Tomaten – und bergeweise Obst: Beeren, Kirschen, Pflaumen und Aprikosen. "Jetzt zwei Kilo zum halben Preis", ruft der Verkäufer.

Englische Wochen

Es ist die beste Gelegenheit, um auch in der Küche englische Wochen auszurufen. Einige der Leser dieser Kolumne kennen meine Vorliebe für das Essen von der Insel und Namen wie Nigel Slater, Delia Smith oder Fergus Henderson. Diese Autoren haben mich in die Welt des englischen Desserts eingeführt, in das Universum von Pudding, Crumble und Trifle – fruchtige Süßspeisen, die ich, wenn möglich, heiß und dann als Hauptgang genieße. Sie sind der beste Beweis: Obst kann in einem herbstlichen Sommer einen wärmenden Eintopf er­setzen. Und das Schöne: Was auf dem Teller liegt, ist meist so wild und wechselhaft wie der Himmel – nur süßer.

Was zeichnet diese Süßspeisen aus? Vor allem wirken sie wie angefangen und nicht richtig auf­gehört. Nehmen wir Crumble. Es handelt sich dabei schlicht um einen Streuselkuchen, nur ohne Kuchenboden. Er ist im Handumdrehen gemacht. Ich mische dafür Butter, Zucker und Mehl (etwa in gleichen Teilen – vertrauen Sie auf Ihr Augenmaß) zu einem krümeligen Teig. Den streusele ich über eine Backform, in der schon entkernte und halbierte Zwetschgen liegen. Nach 20 Minuten bei 180 Grad (etwas mehr Oberhitze tut der Melange am Ende gut) kommt eine brodelnde Mischung mit goldbraunen Teigflecken aus dem Ofen: Die Früchte sind noch nicht ganz zerkocht, ihr Saft hat noch Säure – und das wird wunderbar kon­trastiert durch den Karamellgeschmack der Streusel. In England gibt es dazu traditionell Custard, eine mächtige, mit Eigelb gebundene Vanillecreme. Aber Schlagsahne, die mit Vanillezucker gesüßt wurde, oder eine Kugel Eis sind auch gute Begleiter.

Simple Zubereitung

Die zweite Besonderheit dieser Süßspeisen: einfachste Zutaten und simple Zubereitung. Sie müssen nicht genau wiegen und messen. Und oft kommen Reste zum Einsatz. Der englische Pudding etwa ist ohne altes Brot nicht denkbar und sieht so aus, als hätte man "Arme Ritter" ins Schlachtfeld geführt. Für das deutsche Gericht werden Weißbrotscheiben in einer süßen Ei-Sahne-Mischung gewälzt und gebraten. Die englische Variante ist ein Auflauf aus trockenem Brot, Früchten ganz nach Belieben und vielleicht noch Rosinen. Die Mischung wird vor dem Backen mit einer süßen Ei-Sahne-Mischung übergossen und darf etwas einweichen. Nach 45 Minuten im Ofen sollte sich der Auflauf kumulusmäßig aufgetürmt haben. Gerechtigkeitshalber muss man sagen: Dieses Rezept kennt man in Ägypten, der Türkei oder in Indien, in Europa aber nur noch in Großbritannien.

Mein Star unter den englischen Desserts aber ist das Trifle. Dafür braucht man keinen Ofen, nur Biskuit, Früchte, Schlagsahne und einen guten Likör. Ähnlich wie für Tiramisu. Der Biskuit wird mit Alkohol getränkt. An­schließend kommen Früchte darauf, die man teilweise mit Zucker zermatscht hat, dann geschlagene Sahne. Je wüster man das arrangiert, umso besser schmeckt die Chose. Und ich bin dann mit dem Sommer wieder versöhnt.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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