Kennen Sie Wrackheringe?

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Oder wussten Sie, dass in Schokoladenpudding nur 1 Prozent Kakao enthalten muss. Dies und mehr erfahre ich aus einer Pressemitteilung von Foodwatch: Die Organisation hat sich vor Gericht für mehr Transparenz bei der Vergabe von Lebensmittelbezeichnungen eingesetzt, vor Gericht aber unverständlicherweise nicht Recht bekommen:

"Schinkenbrot muss in Deutschland keine Spur Schinken enthalten. Wer solche Festlegungen mit welchen Argumenten durchgesetzt hat, bleibt weiterhin Geheimsache. Das Verwaltungsgericht Köln hat eine Klage der Verbraucherrechtsorganisation foodwatch auf Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle abgewiesen (Az 13 K 119/08). "Das Lebensmittelbuch bleibt ein Buch mit sieben Siegeln", erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. Er kündigte an, Berufung einzulegen.

foodwatch hatte Ende 2007 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht, um eine Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der Lebensmittelbuchkommission zu erreichen. Das in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Gremium legt in seinen "Leitsätzen" so genannte "Verkehrsbezeichnungen" von Lebensmitteln fest, die für die Kaufentscheidung der Verbraucher entscheidend sind. Dabei wurden Konsumenten in der Vergangenheit oft irreführende Begriffe zugemutet - so wurde festgelegt, dass zusammengeklebte Fleischfasern als "Formfleisch-Schinken" und beschädigte Salzheringe als "Wrackheringe" verkauft werden dürfen oder Kalbsleberwurst keine Kalbsleber enthalten musste. Die Mogel-Strategie der Lebensmittelindustrie wird durch solche Definitionen erleichtert.

Den vom Bundesernährungsministerium ernannten 32 Mitgliedern der Lebensmittelkommission, darunter Lobbyisten der Nahrungsmittelindustrie, erlegt die Geschäftsordnung ausdrücklich eine "Verschwiegenheitspflicht" auf. Die Protokolle der nicht öffentlichen Sitzungen bleiben unter Verschluss. Daher erfährt die Öffentlichkeit nicht, wie die Entscheidungsfindung abläuft und welche Interessen von wem vertreten werden. An dieser Situation hat sich nichts geändert, auch wenn das Bundesernährungsministerium seit einigen Wochen Sachstandsberichte aus den Fachausschüssen teilweise und anonymisiert im Internet veröffentlicht.

foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode kritisierte, dass für Verbraucher weitreichende Festlegungen trotz gesetzlich verankerter Informationsrechte einfach durch ein "Schweigegelübde" in der Satzung der Kommission umgangen werden können: "Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Gericht eine sachliche Diskussion in der Lebensmittelbuchkommission nur für möglich hält, wenn sie im Geheimen stattfindet - mit diesem Argument müssten ja auch die
Beratungen und Abstimmungen im Deutschen Bundestag hinter verschlossenen Türen stattfinden."

Beispiele für irreführende Festlegungen in den aktuell gültigen Leitsätzen der Lebensmittelbuchkommission:

  • Schinkenbrot ohne Schinken: "(.) Es weist einen herzhaft-aromatischen Geschmack auf. Ein Zusatz von Schinken ist nicht üblich." (Aus den Leitsätzen für Brot)
  • Rindfleisch im Heringssalat: Definiert wurden für Heringssalat neben Hering auch "andere Zutaten wie Gurken (.), ggf. auch Rindfleisch oder Fleischsalatgrundlage" (Aus den Leitsätzen für Feinkostsalate)
  • Brot muss nicht gebacken werden: Es wird "in der Regel durch Kneten, Formen, Lockern, Backen oder Heißextrudieren des Brotteigs hergestellt." (Aus den Leitsätzen für Brot - beim Extrudieren wird Teig erhitzt, gerührt und unter hohem Druck aus der Maschine herausgepresst)
  • Während "Fruchtfüllungen" aus Früchten hergestellt werden, können "Fruchtkremfüllungen" komplett ohne Früchte sein - und ihren Geschmack zu 100 Prozent aus Aromen beziehen (Aus den Leitsätzen für Feine Backwaren)
  • Schokoladenpudding muss nur zu einem Prozent Kakaopulver enthalten (Aus den Leitsätzen für Pudding)
  • In Bayern wird Leberkäse ohne Leber produziert. Für den Rest der Republik gibt es zwei Produkte: "Leberkäse" wird demnach mit Leber hergestellt – unter "Bayerischem Leberkäse" versteht man dagegen Leberkäse ohne Leber.

Es ist eben nie drin, was draufsteht. Aber wenigstens wissen will man das schon.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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