Kleine Brötchen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Dass der Bundespräsident mit Brot aus seiner früheren Heimat Hannover beliefert wird, soll die Berliner auf die Palme treiben. So stehts wenigstens in der Welt, der Süddeutschen oder auch der Bild. Man könnte das als den #Blumenkuebel der Woche abtun, wenn die Sache nicht ernster wäre. Denn aufregen sollten sich die Berliner aus diesem Anlass weniger über das Schloss Bellevue und seinen rührigen Küchenchef Jan-Göran Barth, sondern sich viel mehr um die Qualität ihres Brotes insgesamt sorgen.

Also zu den Fakten: Das Bundespräsidialamt wird schon seit Jahren von dem Hannoveraner Bäcker Joachim Gaues beliefert, einem Mann, der ganz in seinem Handwerk aufgeht, noch mit der Hand backt, den Sauerteig der ersten Stunde verwendet und saftige 7 Kilo schwere Ochsenbrote aus dem Ofen zieht (hier ein tolles Porträt über ihn in mare). Genau das Richtige nicht nur für Tim Mälzer in seiner Bullerei, für Sterne-Restaurants in Hamburg und Berlin, und auch für Jan-Göran Barth im Bellevue. Der Koch schmiert nicht etwa nur Stullen für den Bundespräsidenten, er betreut große Empfänge und Staatsbankette und hat seine Dienstherren in den vergangenen Jahren überzeugt, dass es da moderne deutsche Küche geben muss. Denn der Küchenchef ist ein ähnlich Besessener wie Gaues, er schwört auf regionale wie saisonale Küche und ist immer auf der Suche nach neuen Produkten aus der Region.

Würde es in Berlin ein Brot geben, das ähnlich gut wäre, er hätte es wahrscheinlich schon entdeckt. Aber mit Schrippen und Brot aus Berlin ist das so eine Sache, die Hauptstadt ist da wahrscheinlich keine große Ausnahme. Allüberall Aufbackwaren, und öffnet in Mitte oder in Charlottenburg mal eine Filiale der Müncher Hofpfisterei - seit Jahrzehnten bekannt für ein Holzofenbrot aus Bio-Getreide -, dann stehen die Leute vor den Türen Schlange. Gleiches im KaDeWe, wo manche Backware - so hält sich das dem KadeWe nicht unliebe Gerücht - aus Frankreich eingeflogen sein soll.

In Wahrheit ist die schlechte Qualität des Berliner Brotes auf der Liste der klassischen Berliner Konversationsthemen ganz weit oben. Man kann das sogar in Zahlen ausdrücken. Nach Angaben der Berliner Handwerkskammer, der größten Kritikerin der Hannoveraner Brote im Schloss Bellevue - gab es nach der Wende in der Hauptstadt noch etwa 600 Betriebe, die ihr Brot selbst backten, heute sind es noch 179, und die Bäcker suchen nach Nachwuchs. Auf der Website der Berliner Bäckerinnung sind sogar nur 110 Betriebe gelistet. Das macht 40.000 Einwohner auf einen Innungsbäcker. Zum Vergleich: In meinem Heimatort in Bayern kommen noch drei auf etwa 6.000 Einwohner, plus Hofpfisterei.

Über den Niedergang des deutschen Brotes, die Schuld der Bäcker an der Misere und warum der Chefredakteur der Zeitschrift Back-Business sagt: "Viele Bäcker backen schlechter als die Industrie" verweise ich auf eine hervorragende Reportage von Christian Sywottek, die 2007 in brandeins erschienen ist. Bitte lesen, selbst ein Urteil bilden.

Also, liebe Berliner Kritiker, backt mal kleinere Brötchen, aber bessere.

(Foto: kochtopf)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden