Knollen als Hauptgericht

Der Koch Wald-und Wiesenkräuter neben Rüben und Pilzen? Das nennt sich "Gargouillou" und ist mittlerweile ein Sterne-Gericht. Der Koch probiert es in Schweden selbst aus
Ausgabe 32/2013
Knollen als Hauptgericht

Illustration: Otto

In die Mitte des Tellers muss eine dieser ausladenden Dillblüten. Wie die Gestänge von kleinen grünen Regenschirmen sehen sie aus, an den Enden hängen winzige gelbe Knospen. Rote Bete ist auch ein Muss in diesem Arrangement. Und natürlich Blaubeeren. Wie bekommt man ein Bild davon, was um einen herum wächst? Was ist das Nächstbeste, das in den Topf und ein Gericht wandern sollte, wenn man genau nach Jahreszeit und Ort kochen will? Diese Frage hat schon in den siebziger Jahren den französischen Sternekoch Michel Bras beschäftigt.

Er gehört zu den ganz Großen der regional angelegten Küche, und zwar auch, weil er eine sehr einfache Lösung fand. Er machte die Frage zur Antwort. Und je mehr sich der Trend in den Spitzenrestaurants durchgesetzt hat, das seit Jahrzehnten regierende Triumvirat aus Hummer, Kaviar und Gänsestopfleber mit regionalen Zutaten auszuspielen, findet Michel Bras’ Idee Nachahmer in aller Welt. Meist wird dieses Gericht als erster Gang serviert, auch um Appetit zu machen, vor allem jedoch, um eine Marke zu setzen. Der Gast soll wissen, wenn er im Lauf des Menüs nur eine gewöhnliche Zwiebel als Hauptdarsteller vorgesetzt bekommt: Das hat einen Grund.

60 verschiedene Gemüse

Die Rede ist von Gargouillou, und wenn es bei Bras im Frühsommer serviert wird, ist es ein großer Dschungel auf dem Teller, ein wildes Durcheinander. Die Rezeptur folgt mit großer Disziplin dem Gedanken, alles abzubilden, was in der Umgebung seines Restaurants essbar ist, was Gärten, verschiedene Marktstände, Wald und Wiesen hergeben. Und weil das Restaurant in Laguiole im südlichen Burgund liegt, ist das ziemlich viel. Gut und gern 60 unterschiedliche Gemüse: Blüten und Kräuter, Rüben und Knollen, Gurken und Blätter, Früchte und Pilze liegen da zusammen.

Manches ist roh, anderes blanchiert, sautiert oder frittiert, in feine Streifen geschnitten oder nur geputzt, ganz nach Gusto des Kochs, dem es darum geht, den Geschmack jeder einzelnen Zutat auf einen Höhepunkt zu bringen. Mal erinnert der Teller an ein Mikado, mal steckt das Gemüse wie im Karottenbeet in essbarer Erde aus geröstetem Malz.

Kein Gargouillou gleicht dem anderen. Mit Kochen hat das wenig und viel zu tun. Man ist abhängig von der Güte der Zutaten. Als Koch kann man nur versuchen, das Beste aus ihnen hervorzukitzeln – wenn man diese Demut nicht schon vorher gelernt hat, dann hier. Es bleibt am Ende doch dem Gast überlassen, ob er ein Gargouillou für einen besseren Rohkostteller hält oder ein Dreisternegericht.

So ein Gargouillou, diese Zutatenpalette, versuche ich mir jedes Mal neu anzulegen, wenn ich in der Ferne im Urlaub bin und viel kochen darf. Wie sähe es aus in Schweden Anfang August? Die Frage treibt mich seit meiner Ankunft durch dieses Land.

Alles selbst gesammelt

Ich will Ihnen einen ersten Versuch präsentieren: Auf dem Teller liegt eine Stange dünner, gebratener Spargel, leicht gegrillt, die Stangen haben hier noch Saison. Eine in der Folie gebackene Kugel junger roter Bete. Die Blätter kämen mit dazu. Interessante Gurkensorten habe ich entdeckt und nie gesehene Sprossen, etwa aus Sonnenblumenkernen. Blaubeeren, Himbeeren und Pfifferlinge dürfen nicht fehlen, natürlich selbst gesammelt. In die Mitte käme aber dieser mächtige Stengel mit blühendem Dill, der viel wärmer und kümmelnder schmeckt als das Kraut. Und zu guter Letzt sollte aus geriebenem Meerrettich und etwas Molke doch ein Schaum herzustellen sein, den ich über das Gemüse sprenkeln kann, sodass es aussieht wie frischer Tau auf einer schwedischen Wiese. Das ist noch lange nicht alles, aber ein paar Tage habe ich ja noch hier.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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