Koch oder Gärtner?

Kolumne Heute der Koch. Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd. Diesmal: Was isst man am besten in der Krise?

„Ein Glas heißes Wasser bitte.“ Dieser Satz fiel vor ein paar Tagen in einem Berliner Café. Die Bestellung kam von einem Gast, der ganz so aussah, als tränke er nur Milchmix-Getränke. Wenigstens in den Augen des Kellners, der gleich mit dem Hallo gefragt hatte: „Einen Latte?“

Der eigenartige Wunsch wurde sofort Tischgespräch. Meine Freunde und ich hatten genug Diskretionsabstand. Dass im Restaurant Leitungswasser statt Mineralwasser geordert wird, ist seit ein paar Jahren nicht mehr selten. Aber geht die Krisenangst schon so weit, dass billiges Heißwasser Kaffee und Tee verdrängt, fragten wir uns. Und sahen davon ab, dass es zur täglichen ayurvedischen Gewohnheit gehört, mit lauwarmen Wasser den Stoffwechsel anzuregen. Diese Möglichkeit schien uns in diesem Fall schon aus statistischen Gründen unwahrscheinlich.

Krisenperioden äußern sich schnell im Ess-Verhalten. Vielleicht am schnellsten. Die Leute futtern sich Rettungsringe an oder verbrennen sie im Gegenteil, wenn sie angespannt sind. Das gilt nicht nur, wenn ein Einzelner Stress hat. Vorige Woche hat McDonald‘s gemeldet, dass mit den Rezessionsängsten der Deutschen die Umsätze um mehr als fünf Prozent gewachsen sind. Auch Haribo verzeichnet mehr Absatz, und das hat sogar eine Parallele, denn das Bonner Süßwarenunternehmen erlebte seinen ersten Boom genau zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die Gummibärchen hatte Hans Riegel im deutschen Inflationsjahr 1922 erfunden. Werden also Kohlehydrate und Zucker zur Dauer-Nervennahrung in der Krise? Und wir alle zu schnellen, ungesunden Essern?

Eine Studie aus den USA behauptet das Gegenteil. Christopher J. Ruhm, Professor für Ökonomie in North Carolina hat sich Krisenperioden der jüngeren Vergangenheit angesehen und machte die paradoxe Beobachtung, dass die Amerikaner während der Abschwungphase der 1970er Jahre anfingen, sich wesentlich gesünder zu ernähren. Auch, weil sie sich mehr Zeit fürs Essen nahmen und Fertiggerichte vielen Menschen zu teuer wurden.

Ruhms Aussagen treffen sicher nur für Überflussgesellschaften wie die der westliche Hemisphäre zu, aber sie machen die Frage spannend: Welchen Ernährungstrend verstärkt die Misere? Und was wird in den nächsten Jahre zur Krisenkost: Sahnetorte oder Sellerie, Soul Food oder Slow Food?

Gerade ist Fastenzeit, und diese katholische Kultur hat Gerichte entstehen lassen, die immer beides vereint haben: billig, fleischlos, also gesund, nahrhaft und trotzdem ziemlich abwechslungsreich. Mehlspeisen im Allgemeinen und Knödel im Besonderen etwa.

Sie sind Slow Food und Soul Food zugleich, vor allem wenn sie selbstgemacht sind. Auch, weil man im Inneren dann etwas kleines Herzhaftes verstecken kann. Und sie eignen sich für eine verlängerte Resteverwertung: Aus trockenem Brot wird Knödel, aus übrig gebliebenen Knödeln am nächsten Tag ein herrliches Pfannengericht. Nachhaltiger geht es nicht mehr. Wer Knödel verkommen lässt, hat von Krise noch nichts gehört.

Ist es da nicht ein bemerkenswerter Zufall, dass eine Zeitschrift wie die Brigitte, deren Rezeptideen noch immer einflussreicher sind als jede Kochshow, gerade Kloßrezepte auftischt. Deutschlands kulinarischer Reich-Ranicki – Wolfram Siebeck nämlich – hätte für seinen jährlichen Kochwettbewerb ebenfalls gerne Knödelanteile im Menü. Voriges Jahr verhalf er Innereien zur Renaissance.

Knödel sind lustvolle Askese, eine gute Krisenstrategie. Ob dazu auch heißes Wasser zählt? Der Kellner im Café jedenfalls verlangte für den Sonderwunsch das Gleiche wie für einen Kaffee.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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