Ich habe noch immer meine erste Begegnung mit Kohlrouladen in der Nase. Eine Mischung aus der Muffigkeit ungemachter Betten und den spitzen Gerüchen, die man vom Plumpsklo kennt. Stundenlang waberte dieser Odem durch die Räume, in denen ich zu Besuch war, und ich fragte mich, wie lange dieses Gericht noch im Ofen verbringen und vor sich hinstinken muss. War es überhaupt essbar?
Es gibt Zufälle im Leben, die eine solche Frage schon nach wenigen Tagen beantworten. Denn da lief im Fernsehen eine französische Komödie mit dem Titel Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe, Louis de Funès spielte die Hauptrolle. Der Film war ein einziges Furz-Konzert. Man schrieb die frühen achtziger Jahre, die „Ära Kohl“ brach mit einem ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten als Kanzler gerade an. Also, eigentlich war die Haltung zu diesem Gemüse klar.
Und deswegen wundert es mich bis heute, dass ich so ein Kohlianer geworden bin. Ich würde nun gern von einem richtigen Wendeerlebnis erzählen können, aber leider: Das gibt es nicht. Ich kann nur davon berichten, mit welcher fröhlichen Aggression ich Weißkohl, Spitzkohl oder Wirsing kleinschneide, salze und dann, nach etwa 20 Minuten Einwirkzeit, über dem Ausguss das ganze Wasser aus dem Grünzeug herauswringe, bis aus dem Berg geschnetzelter Blätter eine kleine Kugel in meinen Händen geworden ist. Absolut geruchsfrei. Und dann mache ich Salat.
Sogar Zeus wird Kohl serviert
Aber dieses Gemüse ist eben schon seit Urzeiten Symbol einer derben, gemeinen Küche. Das war es schon in der Antike. Im Mythos von Philemon und Baucis bewirtet ein armes Bauernpaar, ohne zu wissen, wer da an ihrem Tisch sitzt, Zeus mit einem Teller Kohl aus dem Garten und dem letzten Stück Fleisch. Es ist fast das gleiche Motiv wie in der französischen Komödie, in der ein ständig angetrunkener Louis de Funès einem fast ebenso einfältigen Alien das Raumschiff mit Kohl von seinem Acker befüllt und dafür mit einem langen Leben beschenkt wird.
Aber man muss keiner extraterrestrischen Macht angehören, um die Feinheiten des Kohls zu entdecken. Und meiner Ansicht nach sind im Kochwasser auch weder Essig, Natron oder Milch notwendig, um dem aufdringlichen Geruch Herr zu werden. Man sollte es einfach nicht so weit kommen lassen, dann reagiert das Gemüse auch nicht wie ein Stinktier.
Lust auf Wirsing
Ich habe es gerade mit Wirsing. Er gehört zu den edleren Kohlsorten, in Frankreich wird er chou de Milan, also Mailänder Kohl genannt, in England Savoyer Kohl, was aufs Gleiche rauskommt. In Italien heißt er la verza und landet meist in der Minestrone. Bei mir nicht. Wenn ich keinen Salat daraus mache, halte ich immer Ausschau nach kleinen Exemplaren dieses krausblättrigen Kohls, etwa von den Ausmaßen eines Tennisballs. Gibt es die nicht, rupfe ich mir sogar manchmal einen größeren Kopf zurecht. Den Wirsing halbiere ich dann und sautiere ihn etwa sechs Minuten in einer geschlossenen Pfanne, nur Butter, Salz, ein guter Schuss Wein und etwas Wasser wandern noch mit hinein.
Heraus kommt ein eigenes Gericht: Der Strunk schmeckt mild-nussig, die Blätter sind würziger, die dicken Blattansätze haben noch eine Spur Knackigkeit. Ein paar Spritzer Kürbiskern-Öl um die Halbkugel herum runden den Teller noch ab. Es ist ein außerordentlich guter Begleiter zu dem Gemüse. Ich könnte mir fast vorstellen, eine Wirsing-Roulade zu machen, und zwar allein gefüllt mit Wirsing. In den Ofen käme sie aber nur kurz, so wie auch mein Wirsing in der Pfanne nur wenig Farbe annehmen darf. Denn ich habe gelernt, es ist gerade dieser Duft von richtig angebräuntem Kohl, der zum Himmel stinkt.
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