Kreuz des Südens

Kirche von unten Die katholischen Gemeinden Lateinamerikas, die schon immer mit den Bewegungen der Landlosen sympathisierten, verurteilen seit 40 Jahren den "Geldimperialismus"


Brasilianische Priester aus Hunderten von Basisgemeinden erklärten im Juni 2008 unumwunden, wer den Klimawandel aufhalten wolle, dürfe in Ländern wie ihrem keine Biotreibstoffe fördern, die sich aus Mais, Soja und Palmöl produzieren ließen. Biomasse bleibe unverzichtbar für die Armen der Amazonasregion. Woraus sonst sollten sie ihre Brennstoffe gewinnen?

Es war dies auch ein Appell gegen eine neue Verarmung, die vorangetrieben wird, weil die Folgen des Klimawandels denen aufgebürdet werden, die sich dagegen am wenigsten wehren können. Sich so direkt existenzieller Nöte der Menschen anzunehmen, gehört in Brasilien spätestens seit dem Aufkommen der Theologie der Befreiung eines Hélder Camara und Leonardo Boff zur Tradition des niederen und mittleren Klerus. Doch auch das Episkopat hat seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962 - 1965) nie mehr darauf verzichten wollen, soziale Verantwortung zu reklamieren und »mit den Geringsten« zu sein, wo das Evangelium dazu verpflichtete. Bis heute unvergessen ist die Ermutigung, die für Lateinamerikas Christen mit dem Abschlussdokument der II. Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM) vom September 1968 in Medellin verbunden war. Die Präsenz der Kirche, weniger der Kirchenhierarchie, ist seither mit dem Wandel des Kontinents verwachsen – vorrangig in Ländern wie Brasilien, Kolumbien und Mexiko, wo die Zahl der Pfarreien jeweils bei mehr als 6.000 liegt. Von besonderer Eindringlichkeit in der Botschaft aus Medellin war der Satz: »Das Kreuz des Südens ruft im Angesicht der Versklavung und Verfolgung des Volkes nach Gerechtigkeit.«

Nicht zufällig entstanden zu jener Zeit Katholische Universitäten in Asunción, Caracas, San Salvador und Managua. Dort war die theologische Begründung der Sozialenzyklika Populorum Progressio von 1967, die sich dem Geist von Medellin verschrieben hatte, keine Frage der Opportunität, sondern Anlass zu einer Formel gegen die Armut, die bis heute gilt: »›Es kann nicht darum gehen, etwas wegen seines Bestehens zu erhalten, sondern vielmehr um die Schaffung von Bedingungen, die möglichst nahe an das ›Reich der Gerechtigkeit‹ Gottes heranführen.«

Zwischen 2003 und 2008 sind die Ökonomien Lateinamerikas pro Jahr im Schnitt um fünf Prozent gewachsen und damit so stark wie nie zuvor in einem vergleichbaren Zeitraum des 20. Jahrhunderts. Doch wäre es naiv zu glauben, damit sei der Pfad eines anhaltenden Aufschwungs auf Dauer gelegt. Im Oktober erschütterte die Finanzkrise die Börse von Sao Paulo und damit Brasiliens Bankenwelt. Zuvor schon hatte die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) wissen lassen, 71 Millionen Menschen des Subkontinents lebten weiter in Armut, 52 Millionen davon unter dem Existenzminimum. Um so mehr verlangen katholische Gemeinden in Brasilien und Paraguay, die schon immer mit den Bewegungen der Landlosen sympathisierten, eine neue agrarwirtschaftliche Agenda – nur eine Landereform könne den Bedürftigen helfen, sich selbst zu helfen.

Anders als zu Zeiten der Befreiungstheologen in den späten sechziger Jahren fühlen sich Regierungen davon heute nicht mehr herausgefordert, sondern bestätigt. Nimmt man das Agrarprogramm des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva oder die sehr viel radikalere Agrarreform, wie sie einem Evo Morales in Bolivien vorschwebt, so wird deutlich, dass viele Priester inzwischen nicht mehr allein als Anwalt der Entrechteten, sondern ebenso als Mentor wirtschaftlicher Rationalität und sozialer Harmonie gefragt sind. Dies als Indiz für die fortschreitende Politisierung einer »Kirche von unten« zu halten, wie sie einst mit der Iglesia Popular während der sandinistischen Revolution in Nicaragua zu beobachten war, scheint übertrieben. Doch wurde das Credo Justitia et Pax von der Ökumene Lateinamerikas in einem Maße angenommen, dass viele Gemeinden wie legitime Volksvertretungen erscheinen, die im Widerstand stehen gegen eine »Diktatur des Geldimperialismus«. Von der war schon in der Erklärung von Medellin – mehr als vier Jahrzehnte ist es her – als einer der schlimmsten Plagen der Menschheit die Rede.

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Geschrieben von

Lutz Herden | Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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