Lässt sich auch was Leckeres aus Luft machen?

Koch oder Gärtner Gegen die Hitze: Der Koch sucht nach einer Zutat, die er nicht verdauen muss. Da bleibt eigentlich nur Luft

Einen Hauch von nichts – das zu sich zu nehmen, ist mein schönster Traum in diesen heißen Tagen. Etwas zu essen, ohne dass der Körper in Wallung gerät, er hat schließlich schon genug zu tun, um mit den Außentemperaturen zurechtzukommen. Die Verbrennung von Kohlehydraten, schon dem Begriff nach muss man sich die doch wie Nano-Briketts vorstellen, das ginge zu weit. Draußen flimmert die Luft, der leichte Wind, der durch die Hauptstadt bläst, versengt die Härchen auf den Armen – da will ich mir nicht auch noch antun, den Ofen in mir auf Hochtouren zu bringen, ganz im Gegenteil.

Ich weiß, physiologisch ist das eine vollkommen abwegige Idee. Der Mensch verbrennt andauernd, der Stoffwechsel arbeitet unentwegt, aber dennoch, es ist wie ein Ohrwurm in meinen Ganglien, ich bekomme den Gedanken nicht aus dem Kopf. Wie ließe sich mit minimaler Anstrengung etwas zubereiten und essen, ohne dass sich anschließend mein Verdauungsapparat einschaltet? Sie mögen Eis, kalte Suppen oder etwas ähnlich Unterkühltes vorschlagen. Aber für den Körper bedeutet das Stress, er mag keine plötzlichen Abkühlungen, er arbeitet dagegen, anschließend ist Ihnen nur noch heißer. Nein, das ist der falsche Weg.

Pulverschnee mit Fruchtsirup

Und verstehen Sie mich nicht falsch, es geht hier nicht ums Abnehmen. Sondern um ein von der Sonneneinstrahlung ausgelöstes Delirium, die Suche nach einer Zutat, die nicht verdaut werden muss und dem Körper absolut nichts bringt. Schreiben Sie es der Hitze zu, am Ende komme ich immer auf diese eine Komponente, gasförmig und natürlich absolut kalorienfrei: Luft. Ja, könnte ich mich doch so viel wie möglich von Luft ernähren, sie würde wie nichts durch mich hindurchgehen.

Luft als Zutat ist eminent wichtig. Als Aromaträger. Sonst würden wir nur schmecken, was die Geschmacksknospen auf unserer Zunge erkennen: Süß, sauer, salzig bitter und umami, also herzhaft. Aber schlürfen sie mal eine Suppe oder morgens einen Schluck vom Kaffee und bringen Sie Ihre Nase ins Spiel, durch die einge­sogene Luft werden noch mehr Aromen hoch in den Riechkolben gewirbelt. Wenn Sie also Ihren Geschmack verfeinern wollen, dann pfeifen Sie auf die Etiquette: Schlürfen Sie.

Darüber hinaus ist Luft auch wichtig für die Konsistenz einer Speise. Vielleicht mit als erste haben das die Römer erkannt, am kaiserlichen Hof wurde frischer, zartschmelzender Pulverschnee mit Fruchtsirup serviert. Junge Eiskristalle sind noch sehr stark ausgefranst und binden damit auch die meisten Luftmoleküle. Dieses Gericht, ein Vorläufer der sizilianischen Granita, lebte – genau – vom starken Hauch von nichts.

Ohne Gaseinschlüsse wäre auch weit konventionellere Nahrung kaum verzehrbar. Diese großen Blasen in einer Ciabatta, die kleineren im Baguette, was würde ich vermissen, wenn es die nicht gäbe. Oder ein luftiges Salzburger Nockerl. Kein Milchschaum, kein Soufflee ohne Bildung von Hohlräumen, keine Zabaione, wenn Eigelb und Marsala nicht mit haufenweise Luft verwirbelt worden wären. Ach könnte ich doch diese Atmosphären aus dem Essen extrahieren und vor Geschmack statt vor Hitze schwelende Luft in mich hineinsaugen.

Es gibt jemand, der sich daran versucht, der Begründer der Molekularküche, Ferrán Adria. Eine seiner Erfindungen, Espuma, hat inzwischen in viele ambitionierte Küchen, und nicht nur die von Restaurants, Einzug gehalten.

Luftballons als Zwischengericht

Sie brauchen dafür nur einen Sahnesiphon und Kohlendioxid-Kapseln. Damit lässt sich dann so ziemlich alles zu Schaum schlagen. Hauptsache, Sie pürieren es vorher und geben einen Emulgator dazu, entweder den guten alten Rahm oder etwas eingeweichte Gelantine. Das tut es auch. So kann man richtig mit Aroma geschwängerte Gase an die Nüstern bringen. Wenn Sie mögen, sogar Sauer­braten-Schaum. Und Adria treibt seine Luftexperimente soweit, dass er in seinem Restaurant „El Bulli“ sogar mit Rosmarin-Dampf gefüllte Luftballons als Zwischengericht verteilt.

Voilà! Theoretisch ist das also möglich, sich von viel gebundener Luft zu ernähren. Das Blöde ist nur, meist braucht das einen Haufen Energie. Zabaione schlagen kostet mich sicher 200 Kilokalorien. Bei der Vorstellung bricht mir schon der Schweiß aus.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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