Mein Logbuch - Zweierlei Maß

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Community,

vor ein paar Tagen ist bei mir eine Mail eingegangen mit dem Betreff:

"Gibt es Regeln in der Community, die für alle gleich sind?"

Mehr will ich aus dieser Mail nicht zitieren, der Betreff allein reicht. Auch wenn ein Fragezeichen am Ende steht, war dieser Satz nicht als Frage gemeint, sondern als Vorwurf. Es war auch nicht die einzige Mail oder PN, die diese Kritik trug.

Vorweg geschickt sei: Ja, da ist was dran. Und: Es geht nicht anders.

Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen, das aus meiner Sicht zu einigem Malheur geführt hat in den vergangenen Wochen, darunter auch die Sperrung von Carl Gibson, Magnus Göller und Rainer Kühn.

Rainer Kühn hat nämlich, viele werden sich noch erinnern, unter einem anderen Nick einen Kommentar in diese Community gepostet. Wir haben Verständnis dafür gezeigt. Seine Erklärung dafür war für mich plausibel, seine Bitte um Entschuldigung wurde von einem Großteil der Community akzeptiert.

Von einem GROSSTEIL, leider bei weitem nicht von allen. Das liegt an der Persönlichkeit von Rainer Kühn, ein ist ein beißender, provokanter Kommentator und Blogger, es gibt kaum jemand, der das nicht schon einmal zu spüren bekommen hat, sich aber auch amüsierte, wenn das Fallbeil - wahlweise im Kleid von Links-TÜV, beißendem Spott oder reimendem Jux - andere User traf. Das wenigstens ist mein Bild von der Netzpersönlichkeit (den Menschen selbst kenne ich nicht), und das meine ich durchaus als Kompliment. Hinzu kommt: Rainer Kühn ist schon länger dabei, als viel gelesener Blogger, nicht nur als Kommentator, und hat sich auch mit Blogs an der Berichterstattung über den NRW-Wahlkampf beteiligt. Wer sich davon ein Bild machen will, (auch von jüngsten Einträgen, die zur Sperre geführt haben), kann seine Beiträge hier nachlesen.

Das ist - ganz offen gesagt - der Hintergrund, warum wir die Doppelnick-Geschichte Rainer Kühn nicht weiter geahndet haben.

Ich fand das damals richtig, heute glaube ich, es war ein Fehler. Es war mindestens ein Fehler, nicht offen zu erklären, warum wir ein Auge zudrücken wollten. Denn seitdem ist Krawall - und die Fähigkeit der Community, sich selbst zu moderieren neigte sich gegen Null.

Ich möchte jetzt gleich auf ein paar Fragen oder Kommentare zu sprechen kommen, die ich nach diesen einleitendem Text als sicher erwarte:

1. Aha, die Redaktion oder das Community-Management hat also doch ihre Lieblinge!

Ja, hat sie. Wer hätte das nicht. Aber wir versuchen, unsere Arbeit trotzdem so professionell wie möglich zu machen und vor allem auf eines zu achten. Dass Niveau und Stil der Diskussion hoch bleiben. Ohne Ansehen der Person, mit hoher Toleranz für das, was hier geäußert wird. Wer ständig alte Streits neu entfacht, auf seinen Steckenpferden auch in Diskussionen rumreitet, die damit gar nichts zu tun haben, senkt aber einfach die Toleranzschwellen. Das ist so wie im richtigen Leben. Und das muss so sein: weil diese Community, das ist Programm, von Menschen betrieben wird und nicht von Computern, die per Filter und Blacklist arbeiten.

2. Warum habt Ihr nun doch Rainer Kühn deaktiviert?

Weil er sich nicht mehr vertragen wollte, nicht mehr mit Usern und unserer Ansicht auch nicht mehr mit dem Community-Management. Man kann das auf seiner Website nachlesen, ich finde, das spricht für sich selbst.

In diesem Zusammenhang: Wir haben in den letzten Wochen immer wieder versucht, durch zeitweise Deaktivierungen versucht, die Gemüter abzukühlen. Das hat sich als absolut unnützes Mittel herausgestellt. Wir werden es so nicht mehr verwenden.

3. Ist das jetzt eine Drohung?

Das darf man so verstehen.

4. Könntet Ihr Euch nicht überlegen, Rainer Kühn doch wieder zu aktivieren?

Nein, sein Verhalten - er kann immer per PN hoch unangenehme Botschaften in der Community verteilen (eine Spezialität unseres Systems) und macht das ausgiebig - spricht eindeutig dagegen. Leider.

5. Dann sollte aber endlich auch dieser andere User deaktiviert werden, der sich hier unmöglich verhält, wie XY. Was für Kühn gilt, muss für den/die auch gelten.

Schwierige Frage. Ehrlich gesagt habe ich persönlich schon darüber nachgedacht, ob sich der Freitag nicht von einer ganzen Reihe von Usern trennen sollte. "Bestandgruppen müssen immer mal wieder aufgelöst werden", steht im Handbuch der Community-Moderation. Sonst bestehe die Gefahr der Stagnation. Ich gebe zu, man ist versucht, das vor allem zu tun, wenn es sich um "Bestands-streit-gruppen" handelt. Dagegen spricht das oben unter 1. Geschriebene. Jeder User ist anders, jede Community ist anders.

6. Wo soll das alles hinführen?

Keine Ahnung. Diese Community wächst und gedeiht noch immer. Das ist gut. Blogs auf freitag.de erreichen inzwischen hohe Aufmerksamkeit im Netz. Diese Community ist Teil eines publizistischen Projekts und soll es weiter bleiben. Auch wenn hier immer wieder die Frage auftaucht, wie "irgendwie links" die Community und freitag.de ist - am Ende, das ist mir wichtig, geht es um die Verzahnung von Print und online, um transparenten und aufgeschlossenen Journalismus, der von vielen betrieben wird.

Aber mit diesem Wachstum steigt auch der Aufwand, Kommentare zu lesen und Diskussionen zu moderieren, die inzwischen nicht selten die 400-Kommentar-Marke kratzen. Wir sind deshalb darauf angewiesen, dass sich die Community auch selbst moderieren kann. Dass sie selbst gestalten will. So wie das noch vor einiger Zeit hier für alle viel selbstverständlicher war. Und was allen Spaß gemacht hat. Angefangen von den "Perlen" bis zum "Video-Blog" von Magda und Juliane.

7. Noch ein Vorschlag

Wie das gelingen kann, darüber denken wir gerade nach. Meine erste Idee ist, der Community eine "freundliche Übernahme" anzubieten. Wer will, kann hier eine Woche den Job von Tessa, JJK und Maike machen und mal selbst moderieren. Wir versprechen auch, wir sind als einfache User gaaanz pflegeleicht.

Das soll nun ein freundlicher aber tatsächlich ernst gemeinter Abschluss dieser Ansage sein.

Danke fürs Lesen, JK

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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