Eigentlich ist das Croissant auch nur ein Butterbrot, aber eines der am meisten kunstfertigen. Im besten Fall legt der Bäcker einige Zeit und viel Mühe hinein, Butter und Teig so zu verbinden, dass am Ende ein Gebilde entsteht, das seine Zutaten vollständig verbirgt. Auf solche Gedanken kommt man, wenn man zwei Tage durch Paris läuft, in einem kleinen Pulk aus Müllern, Bäckern und sonstigen Experten mit einem ausgeprägten Interesse für Brot. Und alle zehn Minuten eine neue Boulangerie betritt und die Croissants probiert. Die Hörnchen werden vor den Augen gedreht, zerbrochen, beschnuppert, anschließend lang zerkaut, bis sich auf der Zunge Süße und am Gaumen Aromen zeigen. Und weil sich im Keller unter den Verkaufstresen noch richtige Backstuben befinden, schmeckt jedes Croissant anders. Eines sieht innen glasig-speckig aus, ein anderes ist im Mund fast knödelig, beim dritten ist die Kruste so zart und fragil, dass sie beim ersten Bissen explodierend zerbröselt; äße man es im Park, die Tauben hätten ihren Spaß.
Es gibt Exemplare, die nur einen Hauch von Butter verbreiten, andere sind buttrig, karamellig, schon leicht käsig fett. Aber alle sind besser als das, was wir Deutschen von daheim kennen. Ein Wunder, dass man aus einem Teig, in den Butter in vielen Schichten ähnlich dem Blätterteig eingefaltet worden ist, der im Unterschied zum Blätterteig etwas Hefe enthält, so abwechslungsreiche Ergebnisse erhalten kann. So unterschiedlich wie die Vorstellungen, die Menschen davon haben, was ein gutes Croissant ist. Was aber könnte der kleinste gemeinsame Nenner sein, der Maßstab, den wir an das Gebäck anlegen?
Einer der Bäcker, die wir besuchen, beschreibt es so: „Eine fein splitternde Kruste, gleichzeitig soll das Innere auf der Zunge schmelzen.“ Die Fachleute diskutieren, was das französische Croissant so unvergleichlich macht: das Mehl, die oft leicht gesalzene Butter, vielleicht gar eine andere Temperatur, wenn der Teig reift, oder – unausgesprochen – die Fingerfertigkeit beim Umgang mit dem rohen Teig? Dutzende andere Variablen werden ins Spiel gebracht. Ich lerne in diesen zwei Tagen: Ein gutes Croissant zu backen ist gleichermaßen Kunst wie Wissenschaft. Ich bekomme davor so hohen Respekt, dass ich mich bereitmache, für ein meisterliches Hörnchen das Zehnfache des normalen Ladenpreises hinzulegen. Das Gebäck mit Schokolade, Nuss- oder Vanillecreme füllen zu wollen, kommt mir noch überflüssiger vor als bisher schon. Und ich merke, wie ich nach dem Probieren des zehnten Croissants und des x-ten Stücks Baguette neue Vokabeln verwende, die nur aus dem entstehen, was ich da im Mund spüre: Brotsprache. Aber kann man, darf man, was in einer Urschrift „täglich Brot“ heißt, also absolutes Grundnahrungsmittel ist, tiefer beschreiben, mäkeln und loben, so wie Wein, Kaffee, Bier?
Längst gibt es Brot-Sommeliers, lerne ich, wenige, aber immerhin. Und warum nicht? Ganz so selbstverständlich ist Brot nicht mehr Teil der Nahrung. Über dem Misstrauen gegenüber Gluten, den Verschwörungstheorien gegenüber Weizen, der billigen Backware in den Aufbackstationen der Supermärkte, die nicht mit Geschmack Absatz machen, wird es fremder. Aber wenn eine Mischung aus Wasser, Mehl, Salz im gebackenen Zustand so vielfältig sein kann, dann muss doch die Sprache mithalten. Ich habe es für das Croissant versucht, sonst wird es, nichts gegen den einfachen Verwandten, bald doch nur noch ein Butterbrot sein.
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