Mit Senf und Siegel

Der Koch Schärfe treibt so manches Essen die Kehle runter – was man von Frankreich alles lernen kann
Ausgabe 31/2014
Mit Senf und Siegel

Illustration: Der Freitag

Ich kenne kein Land, in dem man gleichzeitig so gut und so schlecht essen kann wie in Frankreich. Hier hatte ich meine ersten schicksalsweisenden Begegnungen mit der 3-Sterne-Küche. Hier habe ich aber auch gelernt, was der Begriff „zäh“ genau meint.

Es war in einem Restaurant an der Côte d’Azur. Während ich mich fragte, wo ich das Stück Entrecote hinbringen sollte, das durch minutenlanges Kauen einfach nicht kleiner wurde, lernte ich, wie Einheimische damit umgehen. Die Franzosen am Nebentisch strichen auf ihre Steaks routiniert Dijonsenf. Zentimeterdick. Und bekamen die Bissen nach ein paar kurzen Kaubewegungen tatsächlich runter – mit schweren Schlucken und wässrigen Augen. Ich machte es nach. Und weiß seitdem: Schärfe treibt einiges die Kehle runter.

Es ist nicht die einzige Geschichte, die ich von schlechter französischer Küche erzählen könnte, aber ich spare mir das. Die Verantwortlichen wissen längst Bescheid. Denn man muss dem Land eines zugutehalten: Kulinarik ist hier Sache der Politik – auch wenn das nicht immer Gutes bedeutet, wie im folgenden Fall. Gleichwohl: Die Offiziellen appellieren immer wieder an die nationale Ehre. Darum ging es auch, als Frankreich seine Küche 2010 bei der Unesco als Weltkulturerbe eintragen ließ.

Nun hat die Regierung wieder ein Dekret erlassen. Bezeichnenderweise trat es mit dem Ende des Nationalfeiertags in Kraft und zwingt Restaurants seit dem 15. Juli, auszuweisen, wenn ihr Essen hausgemacht, auf französisch „fait maison“ ist. Zwar gilt eine Übergangsfrist bis zum Januar. Aber wenn dann auf der Speisekarte oder dem Restaurantfenster das entsprechende Siegel – eine Pfanne unter einem Dach – fehlt, darf der Gast davon ausgehen, dass in der Küche nur Packungen aufgerissen und die Mikrowelle befüllt wird.

Man sollte eigentlich des Lobes voll sein und diese Regelung als vorbildlich empfehlen. Nach neuesten Erhebungen wärmen 31 Prozent der Restaurants in Frankreich vorgekochte Gerichte auf, Fastfood-Ketten, Imbisse und Cafés nicht eingerechnet. Warum sollte das hierzulande anders sein?

„Hausgemacht“ schreiben deutsche Wirte ganz ungeniert auf die Karte, je länger ihre Speisekarten sind und je größer die Kühltruhen, umso fetter steht das da. Um das zu wissen, muss man nur fünf Minuten Christian Rach oder einen anderen Restauranttester im deutschen Fernsehen einschalten.

Die französische neue Regelung hat aber ein paar Haken. Denn man fragt sich zum Beispiel: Warum so kompliziert? Wäre es nicht einfacher und konsequenter gewesen, Restaurants zu zwingen, alle Gerichte auszuweisen, die nicht hausgemacht, sondern vorgefertigt sind, zum Beispiel mit einer stilisierten Burger-Schachtel? Ändert, wer sich selbst an den Pranger stellen muss, nicht eher seine Küchenpraxis?

Und: Kritik kommt ausgerechnet von den Köchen, die bisher schon alles selber machten, aus der Gastronomie, die etwas auf sich hält. Sie kritisieren, dass „fait maison“ sich künftig auch nennen darf, was samt und sonders aus tiefgefrorenen und zum Teil auch vorgefertigten Zutaten zusammengerührt worden ist. Tatsächlich: Sogar McDonald’s dürfte das Siegel für einen Teil seines Sortiments verwenden. Mit einer Ausnahme: Pommes. Nur bei tiefgefrorenen, vorgeschnitzten Kartoffelprodukten ist die französische Regelung so rigoros, wie man es sich wünscht.

Man sollte künftig also darauf achten, ob das Pfannenlogo neben den Fritten steht: Dann sind sie aus frischen Kartoffeln geschnitten und man darf vermuten, es steckt etwas Liebe drin. Ich aber werde weiterhin in banger Erwartung sein, wenn ich mich mal wieder für Entrecote entschieden habe – und der Kellner daraufhin ein Glas Senf auf den Tisch stellt.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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