Mit verbranntem Kaffee ins Internet

Der Koch Die Bahn ist mit dem kostenlosen WLAN endlich in der Gegenwart angekommen. Kulinarisch befindet sie sich allerdings noch im vergangenen Jahrtausend
Ausgabe 02/2017

Seit Neujahr gibt es kostenloses WLAN in allen Klassen: Die Bahn ist ja so up to date. Der Konzern stellt sich auf die Kunden ein, die nicht mehr mit dem Buch oder einer Zeitung vorlieb nehmen wollen, sondern mailen, streamen, surfen oder gamen. Der Internetzugang ist zu einem Grundbedürfnis geworden wie die öffentliche Toilette in jedem Waggon. Gut so. Und dann, zwischen den Feiertagen, ich habe gerade wie die meisten um mich den Laptop aufgeklappt, räuspert sich der Lautsprecher. Der Schaffner. „Verehrte Damen und Herren, wir möchten Sie auf unser Nachmittagsangebot im Zugrestaurant hinweisen. Die Kolleginnen und Kollegen verwöhnen Sie gern mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen.“ Ich stelle mir vor, wie sich drei Wagen weiter eine Runde älterer Damen zum Kaffeekränzchen einfindet. Mein Sitznachbar gluckst.

Kulinarisch befindet sich die Bahn noch im vergangenen Jahrtausend. Ich fühle mich jedes Mal an Zeiten erinnert, als im Fernsehen noch von Bohnenkaffee die Rede war und ein Schuss Kondensmilch besser als normale Milch. Damals, in den 70er und 80er Jahren, hatten einige Menschen noch lebendige Erinnerungen an Ersatzkaffee. Die Kondensmilch floss dick wie Sahne in die Tasse, war aber zugleich unendlich haltbar. Der vernünftigste Luxus, den sich die Hausfrau vorstellen konnte.

Klar, am besten sollte ich mich vor jeder Bahnfahrt auf die Zeitreise freuen, die mir bevorsteht. Zurück zu Tilly und Frau Karin Sommer, die im Fernsehen Jacobs-Packungen hinter den Küchentüren stapelte. Denn so schmeckt der Kaffee an Bord: bitter, verbrannt und sauer. Doch immer wenn ich es mir gerade schöngemalt hatte, bin ich wieder aus dem Film geholt worden. Für die Menschen von der Bahngastronomie sind wir Kaffeetrinker entweder mitleidige Kreaturen oder einfach Idioten. Vielleicht sehe auch nur ich nach vier Aufreißtöpfchen Kondensmilch aus. Mindestens so viel bekomme ich nämlich immer zum Becher gepackt, mit den Worten: „Aber nehmen Sie gern noch mehr. Wirklich. Gern. Zucker?“

Haben Sie schon einmal eine Portion Sahne in den Kaffee geschüttet? Er färbt sich von Schwarz nach Schwarz! Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von einer Bordbistro-Mitarbeiterin. Ich habe danach versucht, auf andere Heißgetränke auszuweichen. „Einen Cappuccino, bitte“, sagte ich an der Theke. „Der ist aber aus der Tüte“, war die Antwort.

Wissen Sie, liebe Bahn, Sie sollten auf so ehrliche Mitarbeiter stolz sein. Und sich gerade deshalb um das Eigentliche, also den Kaffee, kümmern. Mit gereiztem Magen zählt der geduldigste Mensch jede Sekunde Verspätung. Und fragen Sie sich eigentlich nie: Was denkt der Gast aus dem Ausland über das Gebräu? Sie, die Bahn, sind die größte Kaffeebar der Republik.

Selbst um die Herkunft wird im Zug ein kleines Geheimnis gemacht. Nicht die Becher, nur die Sahnetöpfchen verraten, woher der Kaffee stammt: „Dallmayr“ steht darauf. Das Traditionshaus, das mit „Kaffee in Vollendung“ wirbt, will mit dem Produkt offenbar nur beiläufig in Verbindung gebracht werden.

Es gibt eine Frau, die hat eine Petition gestartet: Für Melanie Weigel ist der Kaffee schon allein deswegen ungenießbar, weil er nicht fair trade ist. Über 60.000 Unterschriften hat sie bereits gesammelt (bit.ly/29jfZnN), wohl nicht nur, weil alle Mitzeichner so denken wie sie. Ich hoffe, weil sie denken wie ich. Der Kaffee ist auch so ungenießbar. Ich habe unterzeichnet. Es kann nur besser werden.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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