Nur mit Luigis Kochmütze!

Der Koch Dass Köche stereotype Männlichkeitsbilder transportieren, war nicht immer so. Dieser Trend setzte erst um die Jahrtausendwende ein
Ausgabe 10/2019
Schürze und Kochmütze haben bislang noch jeden Mann sexy wirken lassen – oder?
Schürze und Kochmütze haben bislang noch jeden Mann sexy wirken lassen – oder?

Foto: Three Lions/Getty Images

Eines meiner ersten Erlebnisse als Koch spielt auf einer Faschingsfeier. In meiner Kindheit gab es unzählige davon, aus irgendeinem Grund hatten alle Kinder um mich herum im Januar und Februar Geburtstag. Es war so öde. Denn es war immer dasselbe: Die Jungen verkleideten sich als Cowboys, als Indianer, als Ritter oder Wikinger – Hauptsache, man konnte mit irgendeinem Spielzeuggewehr oder Plastikschwert rumwedeln. Horden von Kindern, die alle mit Kajal Bartstoppeln auf die Wangen gepunktet bekommen hatten und sich mit Piffpaff-Geräuschen durch die Partykeller jagten, bis es irgendwann Geschrei, Tränen oder richtige Keilerei gab.

Ich muss neun oder zehn gewesen sein, als ich entschied, mich als Koch zu verkleiden. Meine Mutter besorgte eine Kochmütze, ich hatte ein weißes Hemd und eine Schürze an und bekam einen Schnurrbart auf die Oberlippe gemalt. Das Kostüm war perfekt. Viel cooler als die Typen mit ihren blöden Cowboyhüten, Wiki-Helmen oder Häuptlingsfedern. Ich steckte noch einen großen Holzlöffel ein. Ich fühlte mich in meinem Kostüm ziemlich originell. Und männlich. Die Kochmütze war zwar nicht exakt die gleiche wie die von Luigi, der bei unserem Lieblingsitaliener den Pizzateig durch die Luft wirbelte, sie endete in einem albernen Ballon. Aber trotzdem war ich sicher, genug von der virilen Aura des groß gewachsenen Mannes am Leib zu tragen, der die Frauen immer mit Signora und die Männer mit Dottore ansprach.

Blöd war nur, dass niemand von den Cowboys und Indianern Luigi kannte. Für sie war ich mit dem weißen Ungetüm auf dem Kopf ein ziemlicher Hanswurst. Weshalb ich irgendwann den Kochlöffel in der Hand hatte, als sie nach der Kochmütze griffen.

Ist man als kochender Mann sexy?, hat mich die Redaktion gefragt. Hätte nicht die Faschingsgeschichte eigentlich dazu führen müssen, dass ich fortan jede Küche mied? Und mich stattdessen mit Fußball beschäftigte, Rockgitarre lernte oder Geld für ein Moped sparte? Das alles versuchte ich in der Pubertät – ohne jeden Erfolg. Aber ich stellte mich zugleich mit Lust an den Herd und bastelte meine erste Lasagne zusammen. Es lief noch kein Jamie Oliver im Fernsehen.

Dass Köche Männlichkeitsbilder transportieren, setzte erst zur Jahrtausendwende ein. 1999 begann die BBC mit der Ausstrahlung einer Serie, die ausgerechnet den Namen The Naked Chef trug. Jamie Oliver sprang vor einer wackelnden Kamera wie Huckleberry Finn herum, zerriss Kräuter lieber, als er sie schnitt, zerquetschte Zitronen mit den Händen, war aber gar nicht nackt, sondern hatte einfach nur keine Kochjacke an. Ein Jahr später kam Kitchen Confidental heraus, ein Buch von Anthony Bourdain, das zum Bestseller wurde und den Mann mit seiner verrauchten Stimme zum TV-Star machte. Sein Buch zeichnete Restaurantküchen als gastronomische Unterwelt voller Schweiß und Blut, Drogen und Alkohol, in der nur echte Kerle überleben konnten.

Auf Oliver und Bourdain folgten Epigonen, die jeweils auf ihre Art Männerbilder bedienten, in Deutschland Tim Mälzer, Hamburger Jung mit loser Schnauze, oder Tim Raue, anfangs das wütende Ghettokid aus Kreuzberg. Alle diese Typen bedienten männliche Stereotypen so klischeehaft, als würden sie die Kochjacken, die sie auch noch trugen, am liebsten unsichtbar machen. Eines trugen diese neuen Herdmänner jedenfalls nie: eine Kochmütze wie Luigi.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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