Die seltsamsten Souvenirs sind die, die man schon besitzt, bevor man auf Reise geht. Wie dieser Packen eingeschweißter, vakuumierter Kastanien in meinem Vorratsschrank. Auf einmal ist er mir wieder eingefallen. Wann ich ihn gekauft habe? Keine Ahnung. Ob das Haltbarkeitsdatum überschritten ist? Hoffentlich nicht.
Hier im Limousin – die Ferien haben mich nach zwei Jahren Pause endlich wieder nach Frankreich und nahe an die Atlantikküste geführt – sind die Kastanien zu Hause. Dieser Landstrich ist so etwas wie die französische Uckermark: sehr wenige Menschen, viel Natur. Und man kann nicht sagen, dass er kulinarisch reich wäre. Anders als weiter südlich, da liegt das Périgord, mit Trüffel und Entenstopfleber, den Bergerac-Weinen und hervorragendem Käse.
Weiter nördlich wächst kein Wein, hier sind die Wiesen saftig. Haselnussbraunes Vieh weidet darauf, das Limousin-Rind. Es ist für sein Fleisch berühmt. Aber auf einer längeren Wanderung kann man Köstlichkeiten finden: Brombeeren, wilde Äpfel und Birnen, Sauerampfer, Brunnenkresse. Und Steinpilze. Alles wächst fast am Wegrand. Und über einem hängen diese hellgrünen Bälle. Darin stecken die Nüsse, die diese Region neben den Rindern prägen. Kaum eine Ortschaft, in der es nicht eine Rue des Châtaigniers gäbe oder eine Maison des Marronniers, so nennt man hier auch Ferienhäuser.
Dass die Kastanie solche Denkmäler erhalten hat, liegt daran, dass sie einst zu einer Rarität geworden war. Ihr Holz enthält viel Tannin, einst ein wichtiger Gerbstoff. Zu Beginn der Industrialisierung und bevor Chemiker künstlichen Ersatz entwickelt hatten, war es für Kastanienbauer kurzzeitig einträglicher, gleich den gesamten Stamm zu verkaufen. Ganze Wälder wurden abgeholzt. So verschwand ein Grundnahrungsmittel. Das war die Kastanie über viele Generationen im Limousin, südwestlich in der Ardèche, auch in der Toskana. Ihre Nüsse enthalten kaum Öl, dafür aber viel Kohlenhydrate und Zucker. Brot der Armen wurde sie deshalb genannt. Glückliche Arme: Es wuchs ohne großes Zutun an den Bäumen.
Doch ausgerechnet jetzt sind sie noch nicht reif. Der Herbst ist zu jung. Es ist leichter, Pilze zu finden, sogar im Supermarkt oder an den Marktständen. Nur gut, dass es hier Menschen gibt, die Kastanien einmachen. Und einen verrückten Deutschen damit ausstatten, kurz bevor die Saison startet. Ein Glas Maronen steht nun auf dem Küchentisch. So heißen die besonders großen Nüsse der Edelkastanie. Man sollte sie nicht verwechseln mit der Rosskastanie, dem deutschen Straßen- und Biergartenbaum, eine völlig andere Pflanze, eine andere Gattung sogar, auch wenn sich die Früchte so ähnlich sind. Die Maronen sind in diesem Urlaub meine Trüffel. Wie es immer ist, wenn man die Zutaten fast abzählen kann: Die Exklusivität regt die Fantasie an.
Ich habe sie in den vergangenen Tagen grob gehackt, in Butter angebraten und mit Ziegenkäse über Salat gestreut. Oder im ganzen ebenfalls knusprig ausgebacken in einen Rinderschmortopf versenkt. Dieses kartoffel-nussige Aroma passt zu vielem, mit Knoblauch und Rosmarin wird aus Kastanien auch ein feines Pesto für Spaghettini. Hier in der Gegend gibt es natürlich noch mehr Variationen, für Süßspeisen, für Pürees, für Polenta und Brot.
Inzwischen ist das Glas aber schon fast leer. Umso mehr denke ich an das, was hier einfach nicht aufzutreiben ist. Diesen einen Beutel vakuumierter Kastanien zu Hause in Berlin.
Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur
Kommentare 3
Danke, für diesen Blick in ein Wunderland der "Keschde", Herr Kabisch .
Frage an den Koch:
Hole ich die Kastanien aus dem Feuer, dann schmecken sie zwar gut, aber ihr feiner Geschmack ist durch die harte Behandlung mit den rauchigen Aromen getönt.
Zur Weiterverarbeitung liebe ich also gedünstete Maronen. Die verlieren aber so schnell an Feuchtigkeit, dass sie mehlig und krümmelig werden und dann auch einen Teil des nussigen Geschmacks verlieren. Zur Not, habe ich sie schon in Brotteige eingearbeitet, damit eine Analogie zum Nussbrot hergestellt. Aber es bleibt eine trockene Geschichte und schnell ist auch der feine Geschmack überdeckt.
Gibt es kochkünstlerische Tricks, wie man das verhindern kann? Mir ist nichts eingefallen und nichts aufgefallen.
Herzlichst
Christoph Leusch
Lieber Herr Leusch,
Sie können die Kastanien auch im Ofen rösten, dann werden sie nicht so rauchig. Oder - das macht man so auch im Limousin - sie verwenden einen Marmite oder Dutch Oven, den Sie mit geschlossenen Deckel ins Feuer stellen. Es handelt sich um gusseiserne Töpfe, oft mit Dreibein, aber ein eiserner Schmortopf, den man auf den Grillrost stellt, tut es auch, wenn einem Feuerspuren nichts ausmachen.
Ihr zweites Problem ist verzwickter. Ich habe dafür keine einfache Lösung. Vakuumieren, Einwecken oder Einfrieren sind die halbwegs sicheren Methoden, dass gegarte Kastanien nicht zu sehr austrocknen. Am besten ist es immer so viel zu kochen wie gebraucht.
Schöne Grüße
Ihr Jörn Kabisch
Gute Idee, das probiere ich demnächst aus und stelle meinen Marmite ins Feuer, ohne nachher Marmite, dieses seltsame Würzzeug aus England, an die feinen Maronen zu lassen.
Erfunden hat diese Industrie- Würzhefe, ich fasse es nicht, Justus von Liebig. Sind wir denn an allem schuld?
Austrocknen ist wohl das Schicksal der Maroni. Die haben einfach zu viel Zucker und zu wenig Fett.
Nur weiter und Dank
Christoph Leusch