Es gibt derzeit wenig aus der Gastronomie zu berichten, also wenig vom sonst Üblichen: Neueröffnungen oder neue Küchenchefs sind eigentlich das Brot vieler Restaurantmagazine. Aber da sieht es mau aus, die ganze Branche steckt in der Pandemiestarre. Man versucht Geld und Energie zu strecken, bis bald alles wieder normal geworden ist.
Aber ob es ein Zurück zur alten Normalität überhaupt geben wird? Viele glauben nicht mehr daran. Es ist sogar schon von einer Zeitenwende die Rede. Und das liegt am Personal. In den USA wird es „The Big Quit“ genannt: eine massive Kündigungswelle seitens der Beschäftigten. Dort betrifft es den gesamten Arbeitsmarkt, in Deutschland sind es nur einzelne Branchen, darunter auch die Gastronomie. Die Menschen wechseln den Job, noch bevor der Wirt seinen Laden zusperren kann. 15 Prozent haben sich nach einer Arbeit in einem anderen Bereich umgesehen. Personalmangel heißt die nächste Seuche für die Gastronomie.
Schon im vorigen Sommer hatten Wirte mit der Situation zu kämpfen: Die Gäste kamen zwar wieder, die Mitarbeiter aber blieben weiterhin weg. Ich konnte das selbst beobachten. Es gab keine Plätze in einfachen Wirtshäusern mitten auf dem Land. Ich wurde gebeten, doch bitte zu reservieren, „aber erst für nächste Woche“. Viele Lokale waren nur offen, weil Oma und Enkel mithalfen.
Die Zeitenwende sieht so aus: Die Gastronomie wird mit weniger Personal auskommen und dieses gleichzeitig stärker wertschätzen müssen. Höhere Löhne, mehr Mitsprache, mehr Freizeit. Der Trend dahin war schon vor Corona zu beobachten. Denn die Ausbildungszahlen in allen gastronomischen Berufen sind seit Jahren erschreckend. Essen und Ernährung sind gesellschaftlich breite Themen geworden, für Verbraucher, nicht für Macher.
Ideen gibt es bereits viele. Auch viele gute. Eine meiner liebsten ist das Sharing-Dinner. Es begann sich im Herbst 2019 zu einem großen Trend zu entwickeln. Das Essen kommt in Schüsseln und auf Platten in die Tischmitte, zum Teilen. Für viele Menschen heißt das mehr Genuss, für den Gastronomen Effizienzgewinn und Sparpotenzial. Einzelne Teller anzurichten kostet Zeit – gerade in der Hochgastronomie, aber nicht nur dort. Nicht zu Unrecht hat sich das Wort von der „Pinzettenküche“ eingebürgert. Und wenn nicht mehr für einzelne Gäste, sondern für einen ganzen Tisch gekocht wird, erleichtert das auch meist die Zubereitung.
Manche Gastronomen nutzen die Ersparnis, um die Prozesse im Restaurant weiter zu verändern. So lässt sich beobachten, dass die Grenzen zwischen Küche und Gastraum ins Fließen geraten, und auch der Unterschied zwischen Koch und Kellner. In immer mehr Restaurants sitzt das Publikum am Tresen um eine offene Küche und wird von dort aus bedient. Anderswo stellen Gastronomen Tische zwischen die Herde, das heißt dann „Kitchen Table“. In der Pandemie sind manche Betriebe noch weiter gegangen und haben sich an der Idee der „Sogawi“ probiert, der solidarischen Gastwirtschaft – analog zur solidarischen Landwirtschaft (Solawi). Es ist die konsequente Weiterentwicklung des Konzepts aus dem ersten Lockdown, Gutscheine an Gäste zu verkaufen. Wer so sein Stammlokal stützen will, ist vielleicht auch zu begeistern, mitzuhelfen, mit zu investieren, mit Risiko zu tragen. Und er darf dafür mitreden.
Bis vor gar nicht allzu langer Zeit waren hier viele Küchen die letzten absolutistischen Rückzugsorte. Chefköche wurden wie Stars gefeiert, das Personal wurde oft regelrecht verbrannt. Nun beschäftigen sich Wirte mit flachen Hierarchien, lernen Begriffe wie Teamdenken, besuchen New-Work-Seminare. Es ist eine Zeitenwende.
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