Schlangen beim Backshop

Der Koch Wäre Christian Lindner ehrlich gewesen, hätte er vom Backshop reden müssen. Nur ohne den Bäcker funktioniert der ganze Populismus seines Satzes nicht
Ausgabe 21/2018
Neulich beim Bäcker in der Schlange
Neulich beim Bäcker in der Schlange

Foto: Manngold/Imago

Wann habe ich das letzte Mal in einer Bäckerschlange gestanden? Das war die erste Frage, die ich mir stellte, als ich auf das Zitat von Christian Lindner aufmerksam wurde. Hier ist es noch einmal zum Nachlesen: „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, sagte der FDP-Chef auf dem Parteitag vorige Woche.

Er teilte damit Zuwanderer in solche erster und zweiter Klasse, in gute und schlechte, was natürlich abschätzig und rassistisch ist.

Aber ich dachte gleichzeitig, schön wär’s, überhaupt mal wieder in einer Bäckerschlange zu stehen und jemanden reden zu hören, egal in welcher Sprache. Ohne diese Schlange funktioniert der ganze Populismus des Satzes nicht. Tauschen wir sie doch einfach mal aus, gegen die Schlange an der Kinokasse zum Beispiel – weit weniger wirkungsvoll. Oder am Dönerimbiss. Da klingt Lindner schon fast lächerlich.

Schlangen beim Bäcker. Wenn es die gäbe, wie ist dann zu erklären, dass sich die Zahl der Handwerksbäcker in den letzten 20 Jahren auf unter 12.000 halbiert hat. Mehr als 60 Prozent der Brote und Brötchen werden heutzutage warm und duftend den Backautomaten bei Supermärkten und Filialisten großer Backfabriken entnommen.

Christian Lindner wäre der Realität deutscher Brotkultur nähergekommen, hätte er von der Schlange am Backshop geredet oder an der Brötchentheke. Hat er aber nicht. Es ist immer das Gleiche: Die Populisten arbeiten mit dem Echo einer Vergangenheit, die nie da war oder längst vergangen ist und die niemand mehr haben will, vor allem nicht die, die sich durch solche Sätze angesprochen fühlen sollen.

Egal, ob die AfD Schweinefleisch als Kitanahrung schützen will, Jens Spahn sich über die undeutsche Sprache Berliner Kellner echauffiert oder eben jetzt Herr Lindner den kleinen Bäcker um die Ecke bemüht. Deutsche Esskultur oder das, was man dafür hält, ist inzwischen der kleinste Nenner, wenn es um Gemeinsamkeiten der deutschen Gesellschaft geht, die aus der Fremde angegriffen werden.

Ich sehe es schon kommen: ein Syrer, der beim Grünkohllauf siegt, eine Afghanin, die mehr Maßkrüge stemmt als jede alteingesessene Wiesn-Bedienung, die Millionenfrage bei Jauch, was Schakschuka ist und nicht Leipziger Allerlei – all das wird die neuen Kulturpfleger noch die Wände hochtreiben.

Das Bild mit der Bäckerschlange ist aber mit Abstand das perfideste. Denn wenn man so will, kann man das Anstehen für Brot als die säkularistische Entsprechung zum Abendmahl in der Kirche sehen. Und da gilt Friedenspflicht.

Mit seinem Bild aber impliziert Christian Lindner eben, dass der Hindu aus Indien sowie andere dahergelaufene Heiden den christlichen Frieden längst stören. Ich wünsche mir wieder mehr Schlangen. Menschen, die sich beim Bäcker lange anstellen, um einen Schusterjungen, eine Schrippe oder gar ein Vollkornbrot zu verlangen, in welch gebrochener Sprache auch immer. Ich kann mir einfach kein besseres Bild für gelungene Integration vorstellen.

Dass mein Deutsch auch nicht jeder sofort versteht, das ist mir heute Morgen schon wieder klargemacht worden, als ich in einer Berliner Bäckerei – noch nicht ganz wach – in meiner Muttersprache „Semmel“ gesagt habe.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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