Sprechen wir doch von Blogisten

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Ihre Freitag-Redaktion

Liebe Anna-Dorothea,

es gibt da einige interessante Fragen, die du in deinem Beitrag aufwirfst. Die eine ist die, ob einmal eine Zeit anbrechen, in der es nur noch Blogger geben wird? Denn das wäre der Umkehrschluss aus der Antwort von Annette Hillebrand. Wenn Blogger Journalisten ersetzen können, dann werden Journalisten aussterben.

Ich hoffe, nein, ich bin ehrlich gesagt ziemlich sicher, das dass nicht geschehen wird. aus einem Grund: Würden die Blogger das journalistische Feld ganz übernehmen, dann würden sie wegen ihrer Arbeit und ihrer Funktion per definitionem wieder Journalisten genannt werden.

Begrifflichkeiten und Funktionen aber sollte man auseinanderhalten. Erst einmal weil die Begriffe Blogger und Journalist, schaut man einmal genau hin, gar nicht so weit von einander entfernt sind. Der eine ist nur älter als der andere. Der Begriff Journal bezeichnet noch heute in einigen sprachen ein Tagebuch, Robert Musil nannte Journalisten "Tagesschriftsteller", und wenn man sich einige Texte von den Großen wie Kisch oder Karl Kraus ansieht, dann ist man oft erstaunt, wie sie Betrachtung, Meinung und subjektive Erlebnisse mischen, viel freizügiger, als es uns das heutige journalistische Lehrbuch empfiehlt. Was also waren sie anderes als Papier-Blogger? Auch Joseph Roth - das hat Michael Angele erst vor ein paar Tagen ganz ausgezeichnet in einem Artikel belegt - hätte seinerzeit "Blogger" geheißen, wenn es nicht zufällig schon den Begriff "Journalist" gegeben hätte. Und das Symphatische an der Bezeichnung Blogger ist sogar, dass sich da kein -ismus am Ende findet. Aber wäre etwas gewonnen, wenn wir zum Spaß und um begrifflich Augenhöhe herzustellen, die nächste Zeit mal von "Blogisten" sprechen würden?

Die Trennung von Blogger und Journalist ist doch im landläufigen Diskurs tatsächlich eine vollkommen hierarchische. Deswegen wird meiner Ansicht nach auch so viel Aufhebens um sie gemacht. Ich finde das traurig. Als wenn alle Welt denken würde, Blogger seien, wenn überhaupt, nur B-Journalisten. Diese Denke ist natürlich noch weit verbreitet, sie ist aber falsch, und so wird das auch in der Redaktion des Freitag gesehen, aber da soll jeder für sich selbst sprechen. Es gibt A-Blogger und B-Journalisten und umgekehrt. Wer in toto wer ist, darüber streiten und diskutieren wir viel zu viel. Was bringt das?

Die funktionale Trennung finde ich viel wichtiger, und man kann sie in dieser Community (wobei ich die Redaktion hinzuzähle) auch anschaulich beobachten. Und das hat nichts mit Oben und Unten zu tun. Die Blogger auf freitag.de reagieren im Stundentempo, sie nehmen sich Details raus, über die sie schreiben, für die in einer Zeitung gar kein Platz wäre. Sie bleiben ausdauernd bei Themen hängen, auch wenn die Zeitung oder das redaktionelle Online-Programm diese Punkte schon längst abgehakt hat ... und - nicht zu vergessen - hier finden sich auch ganz ausgezeichnete Schreiber und Journalisten.

Es ist nicht so, dass dies von der Redaktion nicht beobachtet wird, ganz im Gegenteil. Es ist einfach mehr als mehr als die Kommentarfunktion, um sich mit diesem Geschehen auseinanderzusetzen. Die Community ist ein wichtiges Relevanz-Kriterium geworden. Philip Grassmann hat in seinem Kommentar schon das Beispiel Joachim Losehand genannt. Mir fällt noch viel mehr ein: die solide Berichterstattung von Christianberlin zum Bremer Kirchentag, die Blogs von Alexander Wragge zum Kapitalismuskongress, die Serie von mehmet.goldkorn. Und, um nicht nur Einzelne zu nennen, das Thema zensursula, das hier in der Community so viele gute Beiträge fand. Das hatte zur Folge, dass sich auch die Redaktion mehr mit diesem Thema beschäftigte und die Berichterstattung ausbaute. Ich könnte noch mehr aufzählen.

Ist das denn nichts? Klar, es kann immer mehr sein. Und es wird mehr werden. Dazu ein Beispiel: Ein Lektüre-Highlight der letzten Woche war für mich übrigens der intelligente und lustige Schlagabtausch, der sich zwischen Flori, Bildungswirt und Michael Angele im Anschluss an seinen Text über Joseph Roth entsponnen hat. Das war großes Community-Kino.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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