Steinpilze sind was für Wildschweine

Koch oder Gärtner Der Koch geht auf Schwammerlsuche auf dem Wochenmarkt, entscheidet sich für den Kräuterseitling und warnt beim Braten vor Zwiebeln und Knoblauch

Eines soll dieser kalte, verregnete Spätsommer wenigstens für sich haben: ein horrendes Pilz­aufkommen. Typisches Indiz: Die Zeitungen melden Tag für Tag Guinessbuch-verdächtige Funde, vor allem was den König des deutschen Waldbodens angeht, den Steinpilz. Ich habe in den vergangenen Tagen von monströsen Exemplaren gelesen, die angeblich mehr als zwei Kilo auf die Waage brachten. Die dazu­gehörigen Abbildungen in den Zeitungen lösen in mir zwar immer noch den leichten Verdacht aus, dass solche Giganten doch die sichtbaren Spätfolgen von Tschernobyl sein müssen. Aber zugleich denke ich daran, was für ein toller Hokuspokus sich mit modernen Bildbearbeitungsprogrammen veranstalten lässt. Vertrauen Sie mir: Wird Ihnen in irgendeiner Zeitung ein Rekordpilz präsentiert, dann sollten Sie nur eins glauben: Die Schwammerlsaison hat begonnen.

Auf dem Wochenmarkt

Pilze sammeln, das ist wenigstens im Berliner Umland eine leidige Angelegenheit. Nicht nur, dass man sich durch dichtes Unterholz schlagen muss. Der Waldboden ist außerdem gut durchpflügt und frei von jedem Bewuchs – die Hinterlassenschaft der Wildschweine, die offenbar auch leidenschaftliche Pilzesser sind. So ein Wald ist kein Pflaster für einen Amateur-Sucher wie mich. Ich habe meinen samstäglichen Ausflug also noch schneller abgebrochen als sonst und auch dieses Jahr entschieden: Ich suche meine Pilze auf dem Wochenmarkt.

Dort gibt es zur Zeit einen Pilz, für den ich den Wildschweinen gern jeden Steinpilz abgebe: den Kräuterseitling. Die letzten Jahre besetzte er erst die Menükarten besserer Restaurants, nun hat er sich auch auf Wochenmärkten und in Bioläden etabliert. Er hat gegenüber dem Steinpilz nur einen Nachteil, er schmeckt nicht so intensiv und streng. Aber das sollte einen Koch nicht schrecken.

Falls Sie doch noch mehr an Tschernobyl denken als ich, kann ich Sie beruhigen: Kräuterseitlinge stammen, anders als Steinpilze, aus Züchtungen. Sie haben einen dicken, birnenförmigen Stiel, eine kleine braune Haube, die nicht so schnell abbricht, und sehr festes Fleisch. Den Pilz im Ganzen dünn aufzuschneiden, ist ein Vergnügen. Sein Aroma hat sogar eine leise Verwandtschaft zum Steinpilz, ist nur eben nicht ganz so erdig, dafür nussiger und erinnert mich gebraten entfernt an einen milden Malt-Whisky.

Nur Küchenpapier

Mit Pilzen kann man alles falsch machen, wenn man sie zum Putzen gut wässert und dann noch vergisst, die Pfanne richtig heiß werden zu lassen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Pilze in der Pfanne sollen nicht so aussehen wie Schwammerl aus der Dose. Dabei verzeiht der Kräuterseitling einige Fehler sogar eher als jeder Champignon. Reiben Sie die Pilze trotzdem vor dem Schneiden nur mit Küchenpapier ab und erhitzen Sie das Öl in der Pfanne bis zum Rauchpunkt. Das werden goldbraune, an manchen Stellen sogar krosse Leckerbissen.

Mit ein bisschen Zitrone, abgehobeltem Parmesan, Olivenöl und etwas Petersilie sind die Pilze eine grandiose Vorspeise. Ich streue Streifen von gebratenen Kräuterseitlingen außerdem auf ein einfaches Risotto oder gebe sie mit Klecksen von Ziegenfrischkäse zu grünem Salat. Mit schärferen Aromen allerdings bin ich vorsichtig geworden: Wenn Zwiebeln oder Knoblauch mitgebraten werden, schmeckt der Pilz flach, die nussige Blume im Aroma geht verloren. Im Salat kann man auf Rucola verzichten, junger Spinat passt besser.

Für die traditionelle Schwammerlsauce gibt es bessere Alternativen – Pfifferlinge oder eben Steinpilze. Außer man lässt die Sahne weg. Kräuterseitling auf einer in Butter aufgeschmolzenen Scheibe Semmelknödel – mmh. Da erwacht in mir endgültig das Wildschwein.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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