Tanz den Stängelkohl

Der Koch Cima di Rapa ist unscheinbar, aber eine Delikatesse
Ausgabe 27/2015

Schon der Name ist klingend. Und im Berliner Großmarkt habe ich einmal einen italienischen Einkäufer erlebt, der ein lautes che bella! ausstieß, als er eine Kiste davon entdeckte. Ich verstand das erst nicht: dunkelgrüne Stiele, krause Blätter, kleine Blütenansätze, die entfernt an Broccoli erinnerten, ein unscheinbares Kraut, wie aus einer Wildwiese gerupft. Was sollte man damit machen? Für Salat war das Gemüse zu stängelig, zum Kochen schienen mir die Blätter zu fein. Mir blieb vor allem der exaltierte Jubelschrei eines erwachsenen Mannes im Gedächtnis – typisch Italiener, bis ich den Namen des Gemüses auf einer Speisekarte sah: Cima di Rapa. Seitdem frage ich mich: Warum ist der Mann nicht gleich um die Gemüsekiste herumgetanzt?

Als Gärtner hat man den Luxus, dass man öfter jubilieren darf. Man beginnt damit, wenn sich die ersten Sprossen aus der Erde schälen, und hört nicht mehr auf, bis man nach etwa sechs Wochen die Stiele erntet, am besten wenn die ersten kanariengelben Blüten aufgehen. Dann ist Cima di Rapa am würzigsten. Ich habe in meinem zweiten Jahr als Gemüsegärtner gelernt, welchen Einfluss die Witterung hat: Das Frühjahr war im Norden von Berlin trocken und kalt, also weiß ich schon jetzt, es wird kein Zwetschgenjahr werden. Gespannt bin ich, wie sich Zucchini, Gurken und Bohnen entwickeln werden. Die Pflanzen stecken noch in den Kinderschuhen. Selbst meinen Nahrungskonkurrenten, den gefräßigen Nacktschnecken, scheint der Hunger vergangen. Die wenigen Exemplare, die sich bisher gezeigt haben, waren niedlich klein.

Seltsam: Für Wein wird am Ende jeden Sommers bekannt gegeben, ob der Jahrgang ein guter sein wird. Aber warum soll das nur für die Trauben und nicht auch für anderes Obst und Gemüse gelten? Da ist höchstens von Ernteeinbußen die Rede. Beim Spargel etwa. Die Ernte fiel in diesem Jahr 10 bis 20 Prozent geringer aus als 2014, je nach Region. Aber was sagt das darüber, wie der Spargel schmeckte? Gemüse hat immer dasselbe zu sein. Was für ein Irrtum. Vielleicht werden die wenigen Zwetschgen am Baum im September umso süßer ausfallen als vorige Saison. Sollten meine Äpfel saurer sein als im vorigen Jahr, ich wäre glücklich.

In jedem Fall war es jetzt schon das Jahr von Cima di Rapa. Stängelkohl, er ist mit dem Rübstiel verwandt, ein Kohlgewächs, das man vor allem im Rheinland kennt. Ich habe seit dem Frühjahr alle vier Wochen eine kleine Reihe davon ausgesät, und wenn das Gemüse etwa einen halben Meter hoch geschossen war und sich die ersten Blüten öffneten, geerntet. Kein Ungeziefer und erst recht keine Schnecke interessierte sich für die Delikatesse. Mein Glück.

Der Geschmack dieses Gemüses rangiert zwischen mildem, jungem Spinat und scharfwürzigem Rucola. Es ist leicht bitter, klassisch wird es mit Nudeln kombiniert. Der Silberlöffel, das Standardwerk der italienischen Küche, empfiehlt, Cima di Rapa wie Spinat kurz zu blanchieren. Aber ich hacke Stiele und Blätter einfach klein und dünste sie kurz in der Pfanne. Dazu kommen Knoblauch und feingehackte, frische Chilischoten, die Zutaten für Spaghetti aglio e olio, das ergibt ein köstliches, schnelles Nudelgericht. Stängelkohl verträgt sich aber auch überaus gut mit der Salzigkeit von Sardellen oder Salsiccia, der italienischen Bratwurst. Und er passt in ein Risotto oder unter Kartoffelstampf. Die nächste Saat liegt schon im Beet. Che bella!

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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