Trend zum Ein-Personen-Gebäck

Koch oder Gärtner? Diese Woche rätselt Koch Jörn Kabisch, was alle Welt an Cupcakes findet, diesen aufgemotzten Muffins mit Guss - pardon: Frosting.

Auf meinem Küchentisch liegt seit Wochen ein Kochbuch. Ich habe es lange nicht angerührt, ließ es fordern, betteln, klagen – dieses Buch in seinem rosa und braunen Umschlag. Ich sollte es aufschlagen, lesen – einkaufen, wiegen, rühren und backen. Aber beim besten Willen: unmöglich.

Eine Kochblockade? Nein, ganz und gar nicht. Es ist das Buch zu einem Trend: Cupcakes. Die Amerikaner lieben sie, die Engländer auch, und die Deutschen, na ja wenigstens die Berliner scheinen darin ziemlich vernarrt zu sein. Es ist schon erstaunlich, wie oft man in den Souterrains der Hauptstadt auf Kleinstkonditoreien stößt, meist mit nur wenigen Plätzen und einem Tischchen voll dieser Küchlein. Und das Buch dazu nennt sich The Hummingbird Bakery. Das ist eigentlich der Name einer kleinen rosa gestrichenen Bäckerei im Londoner In-Viertel Notting Hill, die nach ihrer Eröffnung im Jahr 2004 in kürzester Zeit mit ihren Cupcakes Furore machte. Und Nachahmer fand. Heute markiert das Hummingbirds an Wochenenden eine der seltenen Stellen von London, wo man noch einen alten britischen Volkssport beobachten kann: gepflegtes Schlangestehen.

Als ich das erste Mal von Cupcakes hörte, dachte ich, es handele sich um Kuchen im Glas. Vor ein paar Jahren gab es die noch im Supermarkt, hießen Conditola, fanden damals keine Käufer und verschwanden wieder aus dem Sortiment. Mit Gläsern oder Tassen haben Cupcakes aber ganz wenig zu tun, trotzdem – auch sie sind ein Revival. Ich will Sie nicht so lang auf die Folter spannen: Cupcakes sind nichts anderes als die Weiterentwicklung des Muffins. Sie unterscheiden sich von diesen durch den weicheren und saftigeren Teig und das „Frosting“, ein Ausdruck der mit „Zuckerguss“ falsch übersetzt wäre. Der uns bekannte Zuckerguss wird aus Puderzucker und Zitrone angerührt, im Frosting aber sind die Hauptzutaten Puderzucker, Butter oder Frischkäse, und das nicht zu knapp.

Diese Buttercreme wird ebenfalls üppig auf die Teilchen aus Rührteig aufgetürmt und dann noch nach Lust und Laune garniert, wobei ich mich öfter frage, ob es wirklich noch ums Essen gehen soll, ganz abgesehen davon, dass diese ganze zuckrige Fetthaltigkeit mich regelmäßig mit einem übersättigten Ekel zurücklässt: Ich habe Cupcakes schon in sämtlichen Farben gesehen, in himmelblau, blutrot, oder minzgrün, die am häufigsten anzutreffende Farbe bei diesem Backwerk entspricht aber dem Innenanstrich der Hummingbird Bakery in London – schönstes Barbie-rosa.

Ich frage mich wirklich, wer will das essen? Die Weihnachtskekse, die wir als Kinder mit Lebensmittelfarben psychedelisch verunstalteten, sind doch auch meist liegen geblieben. Trotzdem: Für die Entsprechung als Buttercreme-Törtchen stehen erwachsene Menschen Schlange.

Man bekommt eben richtig was für sein Geld, wäre die einfachste Erklärung. Tatsächlich aber ist der Cupcake der vorläufige Höhepunkt des – nennen wir es mal – Trends zum Ein-Personen-Gebäck. Schon wegen der Form verbietet es sich, ihn zu teilen. Jedem seins, heißt das Prinzip in den Cafés. Und birgt ein einfaches Stück Apfelkuchen in sich nicht auch das Versprechen, das irgendwo noch eines von den – jetzt muss ich rechnen – weiteren elf Stück vorrätig sind? Und man nachfassen könnte?

Cupcakes erinnern in ihrer Farbenpracht und Fettschwülstigkeit an Zeiten, als sogar eine Band sich „Cookie and the Cupcakes“ nannte, an die 50er Jahre, an Doris-Day-Filme, Teenage Rock’n’Roll und die erste Nachkriegs-Fresswelle, die nicht nur Europa, sondern auch die USA erfasste. Mal sehen, ob Toast Hawaii nicht auch noch ein weltweites Revival feiern darf. Es wäre genauso verdient.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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