Vom grünen Veggieday zum VW-Kraftriegel

Essen 2013 bewegte zuletzt eine kulinarische Diskussion den Wahlkampf. Unterdessen sind die Kantinen viel fleischloser, als sich die Politik das damals vorstellen konnte
Ausgabe 34/2021
Kurz Kraft tanken, dann weiter russisches Erdgas pumpen – so geht Sozialdemokratie
Kurz Kraft tanken, dann weiter russisches Erdgas pumpen – so geht Sozialdemokratie

Foto: Photothek/IMAGO

Das Marx’sche historische Gesetz – Sie wissen schon, Geschichte wiederholt sich, erst als Tragödie, dann als Farce – sollte eigentlich heißen: erst Tragödie, dann Wurst. Warum? Naja, erstens besteht eine Wurst ja eben auch genau aus Farce. Und zweitens sage ich nur Gerhard Schröder. Mit was für großartigen Titeln hat man den Altkanzler einst bedacht – Genosse der Bosse, Putinversteher. Nun ist er der Currywurstretter. Ach Gerhard, hätte Wiglaf Droste gesagt, der größte Wurstphilosoph der deutschen Geschichte, bleib uns wenigstens damit von der Pelle.

Wir mussten ja den alten Niedersachsen schon zur Genüge in Gummistiefeln und Regenjacke ansehen. Wie man im Wahlkampf im Scheitel eines Hochwassers surft, das sollen die Fotos mit ihm 2002 in Grimma zeigen. Überhaupt möchte dieser Wahlkampf gern in Reminiszenzen baden: Wann war gleich noch der Veggieday großes Thema? Ach ja, 2013, auch schon fast zehn Jahre her! Viele werden daran gedacht haben, als vorige Woche Volkswagen bekannt gab, keine Currywurst mehr in einer Kantine zu servieren.

Die Debatte um den Veggieday – dabei handelt es sich lediglich um den Vorschlag, an einem Tag der Woche allein in öffentlichen Kantinen den Fleischgang wegzulassen – hat den Mythos begründet, die Grünen seien eine Verbotspartei. Nun, zu Beginn der 2020er-Jahre, verkündet der Altkanzler, die Currywurst sei der „Kraftriegel“ der deutschen Facharbeiterschaft, als wenn es schon wieder darum ginge, den Fleischverzehr gegen die vegane Inquisition zu verteidigen. Es ist die totale Lachnummer. Man fragt sich, warum er nicht gleich einen Antrag auf Welterbe bei der UNESCO gestellt hat, weil Wurst in scharfroter Sauce nicht wegzudenkender Teil jahrhundertealter Industriekultur ist.

In Wahrheit braucht sie gar keinen Schutz. Die Currywurst ist das einzige, was noch so scharfrot ist, dass sie sich der unbedingten Liebe der deutschen Facharbeiterschaft erfreut. Ganz im Gegensatz zu der Partei, die sich immer noch für so rot hält. Traurig ist, dass der SPD auch nicht mehr viel einfällt als die Currywurst, um auf Tradition zu verweisen. Sie ist auch nur noch ein Winkelement in gute alte Zeiten.

Dementsprechend hatte nun auch die Intervention des Altkanzlers nur mäßig medialen Widerhall. Es gab ein paar Feuilletons, die sich bemüßigt fühlten, nun ein paar etwas peinliche Elogen auf die Currywurst zu schreiben, von wegen Kulturgut, siehe Kölner Tatort. Aber das war es auch.

Die Realität in den Kantinen wird unterdessen immer fleischloser. Der Veggieday ist viel öfter Alltag, als sich das die Politik überhaupt vorstellen kann. Die Currywurst wird trotzdem auch weiterhin zu den beliebtesten Kantinengerichten gehören. Beides ist möglich, sogar, dass die konzerneigene Fleischerei von Volkswagen auch in Zukunft vielleicht nicht mehr ganz so viel, aber immer noch Millionen von Currywürsten produziert und damit die Transformation hin zu einem E-Mobilitäts-Konzern stützt.

Der Grund ist: Die Kunden wollen es. Sie haben verstanden, dass die populistische Gleichung, weniger Fleisch zu essen bedeute, kein Fleisch mehr essen zu dürfen, eben nicht mehr stimmt. Und sie wissen schon länger, dass Kraftriegel auch noch aus etwas anderem bestehen können. Das betrifft inzwischen nicht mehr nur ein bestimmtes Milieu, sondern breitere Gesellschaftsschichten. Man muss dafür nur in einen deutschen Discounter gehen. Dort tragen Fleischpackungen inzwischen Tierwohlsiegel. Etwas, das die Politik seit Jahren schuldig geblieben ist.

Beenden wir doch einfach mal die politische Farce mit Fleisch und Wurst, dann schmeckt sie vielleicht auch wieder, die Currywurst.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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