Vorrecht auf die Brezel?

Der Koch Eine neue EU-Verordnung stellt die Brezel künftig unter Herkunftsschutz. Und? Können sich die Bayern nun was darauf einbilden?
Ausgabe 09/2014
Vorrecht auf die Brezel?

Illustration: Otto

So viel Poesie hätte man den Brüsseler Beamten gar nicht zugetraut: „In der Form ähnelt die Breze zum Beten verschränkten Armen.“ So steht das in der EU-Verordnung, die das bayrische Brotzeitgebäck künftig unter Herkunftsschutz stellt. Was sich bayerische Brezel, Breze, Brezn oder – mit sogenanntem Deppen-Apo-stroph – Brez’n nennt, muss auch aus dem Freistaat kommen.

Und? Können sich die Bayern nun was darauf einbilden? Man muss wissen, die Laugenschleife ist im süddeutschen Raum kulturell tief verankert. Es gibt die Brezn und die Brezel. Das ist zuallererst eine mundartliche Unterscheidung. In Bayern heißt es Breze oder Brezn, genauso wie es immer Semmel heißt, wenn man Brötchen meint. Brezel, das sagt man aus Sicht der Bayern nur da, wo die Semmel das Weggle ist und es auch Spätzle gibt.

Sonst aber ist das Laugengebäck mindestens so baden-württembergisch wie bayerisch. Der Legende nach soll sich damit im 15. Jahrhundert ein Bäckermeister aus Bad Urach bei Nürtingen vor dem Strang gerettet haben. Er schaffte es, was der Fürst nie für möglich gehalten hatte, nämlich ein Gebäck herzustellen, „durch das dreimal die Sonne schien“. Vor dem Backen fielen die Teiglinge in einen Eimer heißer Lauge. Er backte die Brezeln trotzdem – und wurde begnadigt. So wenigstens erzählt man es sich im Schwäbischen.

400 Jahre später, so will es der andere Mythos, passierte dem Münchner Bäcker Anton Nepomuk Pfannenbrenner ein Versehen. Er tauchte die Brezenteiglinge nicht in Zuckerwasser, sondern in die Putzlauge für die Backbleche. Weil Pfannenbrenner beim Hoflieferanten angestellt war, wurde der Königshof auf das neue Backwerk aufmerksam.

Natürlich kennen wir die Breze schon länger. Sie gehört zu den ältesten Zunftsymbolen des Bäckerhandwerks – und das über den süddeutschen Raum hi-naus. Über Jahrhunderte war sie eine beliebte Fastenspeise und wurde meist nur in der Zeit von Aschermittwoch bis Karfreitag gebacken. Die Volkskundler gehen davon aus, dass sie eine Weiterentwicklung des Ringbrotes ist, mit dem die ersten Christen das Abendmahl begingen. Der Name geht auf den lateinischen Begriff brachium (arm) zurück und erinnert an eine alte Gebetshaltung, bei der die Arme über der Brust verkreuzt werden.

Liest man Bäckereihandbücher durch, dann findet sich heute ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal für die bayerische und die schwäbische Breze – ganz passend übrigens für die Klischees. Da soll der Bäcker auf der einen Seite einen Schnitt am Brezelbogen machen, damit der Teig sich beim Backen feinsäuberlich nach außen wölbt. Auf der anderen Seite ist er dagegen nur verlangt, wenn die Breze an ihrer dicksten Stelle in einer breiten Linie aufreißt. Sie vermuten richtig: Das letztere ist das bayerische Rezept.

Lassen wir es bei diesen brezologischen Ausführungen bewenden. Es finden sich keine Hinweise, dass die Bayern irgendein Vorrecht auf das Laugengebäck hätten. Nur, dass sie besonders stolz darauf sind. Ist die Bezeichnung „bayerische Breze“ deshalb aber ein Qualitätssiegel? Schwerlich.

Ob Breze oder Brezel, frisch schmeckt sie am besten. Ich finde sogar, dass für die Begleiterin der Weißwurst eigentlich auch die Regel gelten sollte, dass sie das Zwölf-Uhr-Läuten nicht mehr erleben sollte. Eine „bayerische Breze“ kann außerhalb von Bayern deshalb immer nur irgendein aufgebackener Tiefkühl-Teigling sein. Und in Bayern wird kein Geschäft mit dem Zusatz noch darauf hinweisen wollen, dass es auch unbayerische Brezen geben könnte. Ich kaufe weiter beim Bäcker meines Vertrauens, Brezen, wenn er hat, aber auch Brezeln, wenn er sie denn so nennen will.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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