Wann gibt es wieder Sprossen?

Koch oder Gärtner EHEC ist gegessen – und es gibt wieder Sprossen. Kann man sie in die europäische Küche integrieren, fragt unser Kolumnist – und meint: ja! Sie wachsen ja sogar hier

Es gibt wieder Sprossen. Ist das das letzte Zeichen dafür, dass die Deutschen EHEC vergessen haben? Tomaten und Gurken essen wir ja schon seit langem wieder, Sprossen selbst sind noch nicht ganz rehabilitiert. Erst Ende November hieß es: Auslöser der Epidemie waren Keimlinge von ägyptischen Bockshornkleesamen. Das Sortiment mit Sprossen von Senf, Rettich, Fenchel, Mungbohnen, Alfalfa, Rotkohl oder Linsen allerdings wächst in der Gemüseabteilung meines Händlers. Fast jede Woche kommt eine Sorte dazu. Das freut mich. Ich stand schon kurz vor der Entscheidung, selbst Keimlinge auf der Fensterbank ziehen zu müssen. Obwohl das in meinem Haushalt genau so wenig denkbar ist wie die Anschaffung einer Getreidemühle oder eines Brotbackautomaten.

Auch die Sprossen selbst hatten lange ein Öko-Image. Diese Knäuel aus blässlichen Fäden dienen doch nur dazu, fade vegetarische Eintöpfe oder Salate optisch aufzupeppen – das war auch für einige Zeit meine Meinung zum Thema. Aber das Interesse für die asiatische Küche hat mich gelehrt, was das für ein blödes Vorurteil war. Seit Jahrhunderten verschwenden wir in Europa Energie, und zwar im ganz buchstäblichen Sinne, damit Bohnen und Hülsenfrüchte durch den Darm passen. Stundenlang werden sie eingeweicht und dann lange gekocht, sorgen aber trotzdem noch für reichlich Blähungen. Für den Geschmack muss man sich auch noch reichlich was einfallen lassen.

In Asien dagegen hat man gelernt, die Natur machen zu lassen. Dort werden Soja- und Mungbohnen vor allem als Sprossen verwendet. Nach ein paar Tagen in feuchtwarmer Wärme platzen die Hülsen und kleine Triebe brechen hervor. Es ist nicht nur energetisch clever, so zu verfahren. Bei der Keimung werden genau die Kohlenhydrate abgebaut, die den Darm belasten. Der Geschmack bleibt dabei erhalten, meist schmecken Sprossen sogar ein wenig süßer als das Gemüse, das einmal an ihnen hängen würde, wenn wir sie uns nicht vorher in den Mund stecken würden.

Sprossen für die Zähne

Noch dazu sind Sprossen von einer frischen Knackigkeit. In einer Küche, in der das höchste Lob noch immer saftigem, zartem Fleisch gilt, also bei uns, passt das junge Gemüse nur in Salate. Ich habe dieses Weichheits-Credo satt. Ich finde, auch die Beißerchen sollen ihren Spaß haben. Ich wiederhole mich vielleicht, aber es ist die Kombination aus leicht und hart zu Beißendem, die ein Gericht vollmundig macht. Ein Stück Fleisch zusammen mit ein paar Rettich-Sprossen im Mund – da bekommt man einen völlig anderen Eindruck, was ein zartes Steak sein kann. Nach solchen Kontrasten zu suchen, das hat die asiatische Küche uns voraus, in asiatischen Lokalen hierzulande vermisse ich das leider oft.

Aber weg von Fernost. Lassen sich Sprossen in die europäische Küche integrieren? Ich meine ja, und denke dabei nicht nur an das Sandwich, den Burger oder andere Klappbrot-Varianten, in denen sich Sprossen genauso wie die gute alte Gartenkresse immer gut machen. Ich habe neulich einen Berg Kohlrabi-Keimlinge unter rassig scharfe Spaghetti Aglio e Olio gemengt. Köstlich. Und ich mag auch die ätherische Schärfe von Senfsprossen in einem cremigen Rührei.

Solche Vorschläge klingen, als ob es sich um exotische Zutaten handeln würde. Aber das sind sie nicht. Sprossen wachsen auch in Ihrer Nähe. Für einen langen, weiten Transport sind sie viel zu verderblich. Sie wachsen noch in der Verpackung, und sind dort auch anfällig für Bakterien und Pilze. Es ist schlimmer als mit Fisch. Sprossen sollte man nach dem Regionalprinzip auswählen, wie weit der Weg zum Erzeuger ist. Und während ich dies schreibe, schaue ich zur Fensterbank.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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