Warum ist das Rühren eine Kunst?

Koch oder Gärtner Der Gärtner versucht Ordnung in die Natur zu bringen. Und der Koch? Macht genau das Gegenteil: Er hat es mit toten Geschöpfen zu tun. Das erfordert Kunstfertigkeiten

Es gibt einige Unterschiede zwischen dem Koch und dem Gärtner. Während der Gärtner, wie er immer wieder betont, unablässig dabei ist, der äußeren Natur zu einer Ordnung zu verhelfen und den Wildwuchs in Bahnen zu lenken, so gilt das beim Koch genau umgekehrt für die innere Natur. Wir haben es in der Küche, das ist der entscheidende Unterschied, immerzu mit toten Geschöpfen zu tun und greifen vor dem Genuss in den natürlichen Verderbnisprozess ein. Er wird beschleunigt oder verlangsamt – je nachdem, ob ein Lebensmittel schnell verzehrbar oder noch lange haltbar sein soll. Zwar ist der Kampf gegen Bakterien und was sonst noch alles ein Essen ungenießbar machen kann, ebenso aussichtslos wie der gegen Schnecken oder Blattfäule. Man kann immer nur zeitweise Triumphe feiern. Aber in der Küche ist die aufmerksame Begleitung des Wachstums, wie es der Gärtner­arbeit entspricht, doch nur in Ausnahmefällen möglich – mir fällt da nur das Ansetzen eines Hefeteigs ein.

Kochen verlangt dafür Kunstfertigkeiten. Das können sehr simple Verrichtungen sein, doch je ein­facher sie sind, umso unbedachter werden sie ausgeführt. Und Gedankenlosigkeit führt meist zu Pfusch. Nehmen wir das Rühren – eigentlich eine ganz einfache Sache. Nur nicht, wenn man in der Verlegenheit ist, selbst Eiweiß steif schlagen zu müssen, und nie gelernt hat, aus dem Handgelenk zu schlagen und den Schneebesen dabei in Achten zu führen. Ich sehe, wie in Fitness-Studios Menschen an ihrem Laufstil feilen, sie zahlen sogar Geld dafür. Sie schwitzen, sie quälen den protestierenden Körper, irgendwann ist der Durchbruch da und die Serotonine tanzen. Bei mir ist es das Gleiche, wenn ich bei Gelegenheit trainiere, gegen mein elektrisches Rührgerät zu gewinnen: Genauso sinnlos, ebenso kräftezehrend, aber etwas billiger – und ich bilde mir ein, es verhilft mir zu mehr Fingerfertigkeit am Herd.

Es geht um Disziplin

Sicher, ein krasses Beispiel, aber es verdeutlichet: Es geht stets um Körperbeherrschung, Effizienz und Disziplin. Auch beim einfachen Rühren. Jeder, der schon einige Male Risotto gemacht hat (und nicht unbedingt für zwanzig Personen, das ist natürlich besonders schweißtreibend), weiß das. Wer sich auf den Kochlöffel konzentriert, verhindert nicht nur, dass die Pampe anbrennt. Aus den Reiskörnern wird bei diesem Prozess die Stärke gelöst, eine wichtige Voraussetzung, damit der Risotto am Ende auch cremig wird.

Es gibt Menschen, für die ist dieses langsame Rühren ein Bedürfnis. Weil sie die Dinge einmal nicht schnell hinter sich bringen wollen. Weil ihnen dabei einfällt, wie schön das Kreiseln als Lebensprinzip ist. Weil man mit sich und dem Reiskorn allein am Ruhepuls ankommt. Ich gehöre natürlich auch zu diesem Menschenschlag – wie auch übrigens viel mehr Leute, als man vermuten will. Ich habe noch nie eine Küche gesehen, in der ein Mangel an Kochlöffeln geherrscht hätte. Meist gibt es davon mehr als Messer. Aber warum sich so viele dieser Werkzeuge finden und woher sie stammen, können die wenigsten Menschen erklären. Ich meine, es ist verschüttetes, aber noch lebendiges Wissen, dass Rühren nicht gleich Rühren ist. Und Rühren auch viel schöner sein kann als Schälen, Schneiden oder Hacken. Ich greife beim Risotto instinktiv zu einem alten, abgebrochenen Holzlöffel wie ein Golfer auf dem Fairway zum 6er-Eisen.

Wichtiger als das richtige Rühr­utensil ist aber noch zu wissen, wann es genug ist – zum Beispiel, weil der Risotto verkocht. Bei Polenta etwa ist sparsames Rühren angebracht, denn wenn der Maisbrei anliegt, aber nicht anbrennt, bilden sich Karamell- und Röst­aromen, die das Ganze erst schmackhaft machen.

Und manchmal sollte man überhaupt nicht rühren. Das andere große europäische Reisgericht neben dem Risotto ist die Paella. Das ist nicht nur eine safrangelbe Reispfanne mit Hähnchen, Schweinefleisch und Meeresfrüchten. Es ist eine Welt für sich, die ich gerade entdecke. Im Mittelpunkt steht ein körniger Reis, der sich mit Aromen vollgesogen hat – und am Pfannenboden eine feine Kruste entwickelt hat. Dafür darf man, wenn Reis und Brühe in die Pfanne gekommen sind, anders als beim Risotto, bloß nicht mehr umrühren. Und das war zu Beginn eine echte Herausforderung für meine innere Natur.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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