Warum sind Birnen eine Reise wert?

Der Koch Sie ist die Gräfin unter dem Übergangsobst und unser Koch kann mit ihr heiß und kalt etwas anfangen. Er verwendet die Birne für herbstlichen Salat oder Schokoladendessert

Habe ich an dieser Stelle schon einmal Birnen erwähnt? Nein? Was für ein Fehler. Ich kann nur vermuten, dass ich nicht so persönlich werden wollte, wie ich es gleich werde. Denn Birnen sind treue, aber unauffällige Begleiter. Wie ein Trenchcoat, den man schon lange besitzt, auch regelmäßig anzieht, aber als einen wichtigen Teil der Garderobe eigentlich unterschätzt. Ein Übergangsobst eben, Birnen passen schon nicht mehr richtig zum Sommer und auch nicht zum Herbst.

Aber in die Übergangszeit. Dazu gehören für mich kleine, leicht rotbäckige Birnen, die sich augenblicklich zu Saft verwandeln, wenn man reinbeißt, so reif sind sie. In Frankreich und Italien findet man sie in dieser Jahreszeit häufig, angeboten werden sie unter dem Etikett „Comice“, es sind Vereinsdechatbirnen, die ich hierzulande selten sehe. Das Fleisch ist so schmelzend, es lässt sich kaum verhindern, dass einem der Saft übers Kinn läuft, und ich versuche es auch gar nicht mehr – es gehört zum Genuss. Vor ein paar Wochen war ich nach langer Zeit mal wieder in Südfrankreich. Bei allem Guten, das man sich dort einverleiben kann: Allein das Obst war die Reise wert.

Zurück im deutschen Herbst geht es gleich weiter mit den Birnen und an den Herd, für Tartes, für Birnen, Bohnen und Speck – und für die Konfitüre meiner Großmutter. Davon koche ich jedes Jahr ein paar Gläser. Dafür kommen Zimt und etwas Nelke zu den Früchten und am Ende noch ein ausgiebiger Schuss Birnenschnaps – es wird also eine echte Herrenmarmelade.

Widerstandsfähiges Aroma

Das Besondere daran ist: Die Birnen werden so gerieben wie Kartoffeln für ein Rösti. Das hat einen praktischen Grund: Die Konfitüre misslingt nie. Denn auch wenn sie nicht richtig geliert – was mir regelmäßig passiert –, kann man das süße Birnengeschnetzelte noch sauber aufs Brot verfrachten. Für die restliche Tunke im Glas finde ich immer Verwendung: in einer Vinaigrette oder um die Bratensoße aufzumotzen. Oft ist das Marmeladenglas dafür aber zu schnell ausgetrunken.

Botanisch sind Äpfel und Birnen zwar enge Geschwister, aber in der Küche ist es ein Fehler, die beiden gleich zu behandeln. Manche Apfelsorten werden als „feinsäuerlich“ beschrieben, im Vergleich zur Birne sind auch sie sauer wie Essig. Birnen sind feiner, sie roh als Obst zu essen, ist tatsächlich manchmal sogar langweilig. Aber dieses Aroma ist im Gegensatz zum Apfel auffallend widerstandsfähig, es trotzt kräftigem Ziegen- oder Blauschimmelkäse und überlebt auch den Destillationsprozess im Übergang zum Schnaps. Das sollte man sich vor Augen halten, wenn man die Birne einsetzt. Sie ist von unbeirrbarer Vornehmheit, ihre Züchter haben das immer gewusst: Birnen heißen „Williams Christ“, „Gute Louise“, „Gräfin von Paris“, „Köstliche von Charneux“ oder „Abbé Fetel“ – das ist die „Abate“ im Supermarkt. Und der Apfel? „Renette“, „Jonagold“, „Holsteiner Cox“.

Ich nehme die Birne immer wieder als Thema für ein herbstliches Menü. Soll es als Vorspeise ein Salat sein? Birnenwürfel und Walnüsse sind im Feldsalat eine Abwechslung zu Croûtons und Speckwürfeln. Das Obst ist außerdem ein ausgezeichneter Begleiter für Geflügel. Ein Huhn verliert seine ganze Alltäglichkeit, wenn man Birne mitbrät, und sie verhilft auch Gans und Ente zu mehr Eleganz. Sie passt sogar zu „erdigen“ Fischen wie Forelle, Saibling oder Karpfen.

Der Höhepunkt eines solchen Menüs ist natürlich der Nachtisch. In Rotwein pochierte Birnen sind schon gut. Mir ist die Kombination mit Schokolade aber lieber, ein ewiger Klassiker, angefangen von Birne Helene bis zum Birne-Schoko-Trifle ... Warum? Ist mir ein Rätsel. Da fällt mir ein: Die Küche ruft.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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