Was ist an der Kombination von Land und Meer so faszinierend?

Der Koch Der Koch beschäftigt sich mit "Surf'n'Turf". So nennen es Amerikaner, wenn in der Küche Fleisch auf Fisch oder Muscheln trifft. Das kann ganz besondere Reize haben

Ich neige eigentlich nicht zu Ex­travaganz. Ein freundlicher Leser dieser Kolumne hat einmal geschrieben, hier werde Hausmannskost im besten Sinne serviert, und ich habe das als Kompliment verstanden. Denn es ist so: Teure Produkte oder seltene Zutaten sind keine wirklich fruchtbaren Themen. Einfach, weil sie keine Herausforderungen an den Koch stellen. Man gibt sie eben ans Essen und hat damit ein Gericht um einige Klassen hochgejazzt. Etwa, wenn man über Spaghetti Carbonara etwas Trüffelöl träufelt.

Heute aber muss ich mit dieser Gewohnheit brechen. Es wird ein bisschen ausgefallen: Denn ich habe ein Rinder-Austern-Tatar gegessen, und das war das Geschmackserlebnis der letzten 48 Monate. Wenn nicht sogar länger. Stellen Sie sich ein Stück bestes Rinderfilet vor, kombiniert mit Muschelfleisch. Fein gehackt und vermengt mit dem Wasser aus der Auster, etwas Tomatenmark, Zitrone, Sojasauce und ein paar Spritzern Tabasco. Kein Ei, keine Zwiebeln, keine Kapern oder Gewürzgürkchen. Ich habe noch nach Tagen den Geschmack glasklar auf der Zunge: Erst das rohe pure Rindfleisch, und je länger man kaut, desto deutlicher macht sich die Auster bemerkbar. Sie übernimmt am Ende ganz die Regie. Der Abgang ist wie eine fein auslaufende Welle. Es schmeckt nach Meer, nach Salz, nach Algen – und das sehr lange.

Geschmackskino

Das ist oscarreifes Geschmackskino. Es hat mir das Geheimnis der Kombination von Land und Meer eröffnet. Wo Wasser auf Küste trifft, bieten sich dem Auge regelmäßig gewaltige Schauspiele und beeindruckende Naturformationen. Vielleicht verhält sich das auf der Zunge genauso?

In der amerikanischen Küche heißt der Mix aus Land und Meer „Surf‘n‘Turf“. Klingt genau nach dem, was ich meine. Ein bisschen wie Rock‘n‘Roll. Aber wenn Sie dieses Gericht auf der Speisekarte finden, bekommen sie klassischerweise ein dickes Steak und dazu gegrillten Hummer vor­gesetzt. Also eine große Portion Eiweiß. Das Gericht ist in den sechziger Jahren aufgetaucht und steht völlig zurecht in Jane und Michael Sterns hervorragender Enzyclopedia of Bad Taste. Es ist etwas für den Völler, aber nicht für den Genießer.

Aber kehren wir zur Hausmannskost zurück. Ein wundervolles deutsches Rezept aus der Kategorie Surf‘n‘Turf ist die Finkenwerder Scholle. Der Plattfisch wird in ausgelassenem Schweinefett gebraten, dazu gibt es krosse Speckwürfel. Die herzhaft salzigen und rauchigen Aromen des Schinkens verleihen dem zarten, mürben Fleisch der Scholle Körper und Tiefe.

Ich muss nicht lange überlegen, um eine ganze Reihe von Gerichten zu finden, die Land und Meer kombinieren. Ebenfalls in der norddeutschen Küche heimisch ist der Labskaus (Rind, rote Bete und Rollmops), und aus Italien stammt Vitello tonnato: gesottenes Kalbfleisch in einer Thunfisch-Sauce mit Kapern. In Spanien ist ein Paella-Rezept beliebt, bei dem in der Reispfanne Meeresfrüchte und Huhn oder sogar Paprikawurst, Chorizo, kombiniert werden. Und in dem portugiesischen Eintopf namens Cataplana treffen sich regel­mäßig Schwein und Muscheln.

Salzwiesenlamm

Doch man muss gar nicht so weit gehen, Fisch und Fleisch zu kombinieren. Der Lebensraum nahe am Meer macht so manche Zutat richtig schmackhaft: Zander aus brackigen Boddengewässern etwa. Oder ein würziges Kotelett vom Salzwiesenlamm.

Meine liebste Kombination ist übrigens eine vegetarische: Gurkensalat mit Wakame-Algen. Die gibt es getrocknet in vielen Asia-Läden. Sie müssen nur ein paar Minuten gewässert werden. Im Kontrast zu dem herben, salzigen Meergras entwickelt die Salatgurke eine säuerliche Süße, die fast an Obst erinnert. Das ist meine Hausmannskost.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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