Was mache ich mit dem vielen Rhabarber?

Koch oder Gärtner Alle Jahre wieder: Der Koch stellt sich seinem Trauma, der Tarte Tatin. Der fragile französische Kuchen ist eine Herausforderung

Tarte Tatin – für mich ein traumatischer Begriff. Ich verzweifle an diesem Kuchen. Regelmäßig stelle ich mich trotzdem der Herausforderung, vor allem in der Rhabarber-Zeit, und das seit Jahren, auch jüngst am Wochenende wieder. Nur um am Ende wieder vor einem Trümmerhaufen zu stehen – und vor Gästen, die mir versichern, dieses Minenfeld von einer Tarte schmecke doch vorzüglich. Muss doch nicht immer so aussehen wie in der französischen Patisserie. Ein schwacher Trost.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Tarte Tatin auch aus einem Missgeschick heraus entstanden sein soll. Die Schwestern Francoise und Stefanie Tatin, die im 19. Jahrhundert ein kleines Hotel an der Loire betrieben, vergaßen nach einer Version der Geschichte den Teigboden, nach einer anderen entglitt ihnen eine Apfeltarte vor dem Ofen. Weil aber der Obst-Belag noch intakt war, wurde die Tarte einfach ins Rohr geschoben, mit dem Teig obenauf.

Leckerbissen mit Tücken

Weil das Obst am Boden gebacken wird und man mit Butter und Zucker nicht geizen sollte, entwickeln die Früchte ein saftiges Karamell, das man bei einer normalen Tarte vermissen würde. Ein echter Leckerbissen, wenn nicht nach dem Backen der wirklich schwierige Teil käme, auch wenn das in keinem Rezept erwähnt wird: das Stürzen. Und weil sich die Früchte mit dem Teig kaum verbinden und dieser auch noch recht mürbe und brüchig nach dem Backen ist, kann diese Prozedur in einem ziemlichen Malheur enden. Was heißt „kann“? Meiner Erfahrung nach sollte man das Wort mit „muss unweigerlich“ ersetzen.

Aber noch will ich das nicht. Sondern meinem zunehmenden Fracksausen Herr werden. Ich habe außerdem noch die Erinnerung an eine herrliche Tarte Tatin mit Rhabarber und Mandeln in Mund und vor Augen, die mir beim ersten Versuch ganz passabel gelungen ist, seitdem aber leider nie wieder.

Am Wochenende habe ich es aber nach drei Versuchen doch gelassen. Wer soll den ganzen Schlamassel am Ende essen? Rhabarber habe ich aber noch für einige Versuche vorrätig, ich habe ihn gebunkert. Es ist schließlich bald Schluss mit der Saison. Und im Gegensatz zu vielen, die zur Zeit an keiner Steige Erdbeeren vorbeigehen können, geht mir das bei deren unscheinbaren Lebensabschnittsbegleiter so: Erdbeerzeit ist Rhabarber­zeit, und man kann aus diesem Gemüse (ja, das ist es) viel mehr machen, als Erdbeer-Rhabarber-Kompott.

Eine saure Köstlichkeit

Dass aus den langen, an Sellerie erinnernden Stangen nicht viel mehr gemacht wird, liegt daran, dass sie erst seit kurzer Zeit in Europa kultiviert werden, etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Zucker billig genug wurde, um ihn in großen Mengen zu verwenden und so das saure Gemüse zu bändigen. Eine kalte Stange Rhabarber Biss für Biss ins Zuckerfass zu tauchen, war für Kinder früher wie heute Eis am Stiel. Davor kannte man in Europa über Jahrhunderte nur die getrocknete und gemahlene Wurzel, die mitsamt Zimt und Safran aus dem fernen Osten bezogen wurde, ursprünglich beheimatet war Rheum Rhabarbarum nämlich im Himalaya und in der Mongolei.

Rhabarber eignet sich nicht nur für Kompott und Kuchen, seine erdige Säuerlichkeit passt auch gut zu Fisch, vor allem Süßwasserexemplaren. Wenn Sie mal keine Zitrone zur Hand haben, geben Sie ein Paar Stück Rhabarber in den Bauchraum einer Forelle. Oder versuchen Sie ein Rhabarber-Zwiebel-Chutney. Passt toll zu Schweinskoteletts vom Grill.

Eigentlich passt ja das Wort Rhabarber nicht zu einer so formschönen Sache wie einer flachen Tarte. Mit dem Rest der Stangen mache ich deshalb lieber Rhabarber-Crumble, da ist der Klumpatsch aus Obst und Streuseln in der Backreine Prinzip.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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