Was man vom Großvater über das Angeln lernt

Der Koch Seine Passion für das Angeln erbte unser Kolumnist von seinem Großvater. Der hatte nebenbei auch die besten Tricks raus. Allerdings führte einer zu lebenslanger Vorsicht
Ausgabe 34/2013
Was man vom Großvater über das Angeln lernt

Illustration: Otto für der Freitag

Jedes Mal, wenn ich zum Angeln gehe, muss ich an mein erstes Mal denken. Ich hatte gerade lesen gelernt. Und mein Großvater, der gern lange Stunden auf dem See zubrachte, fand, nun sei die Zeit reif, dem Enkel seine Passion mitzugeben.

Er war mit allem Zubehör ausgestattet, auch wenn der Zahn der Zeit daran genagt hatte: ein wunderschönes Holzboot, die unterschiedlichsten Angelruten, außerdem eine alte Umhängetasche aus brüchigem Zwirn, die so interessante Sachen wie Schwimmer, Schnüre, angelaufene Messer und Fliegenköder enthielt, die schon etwas verklebt und zerfleddert waren. Mein ganz besonderes Interesse aber weckte ein verrostetes Gerät, das aussah wie eine große Fleischgabel. Daran hing noch ein langes Stromkabel.

Ich wurde nicht lange auf die Folter gespannt. Lektion 1 meiner Einführung ins Anglertum: Mein Großvater hieß mich, die Gummistiefel anzuziehen und mit dem Kabel in der Hand an der Steckdose stehenzubleiben. Dann stiefelte er auf die Wiese und spießte das Ding in die Erde. Wie ich heute weiß, handelte es sich dabei um einen haushaltsüblichen Tauchsieder, bei dem die Spirale aufgebogen und zu zwei Zinken umgeformt worden war. Großvater kam zurück und sagte im Vorbeilaufen, ich solle jetzt das Kabel einstecken – aber vorsichtig. Dann verschwand er im Haus.

Ich war wirklich sehr behutsam. Trotzdem: Im Haus gab es sofort einen lauten Knall. Sehr gedämpft hörte ich: „Macht nix. Da haut’s immer die Sicherung raus! Stecker raus!“ Wenig später erschien der Opa wieder, sah den kleinen Jungen, der wie angewurzelt an der Hauswand stand und den Stecker steif umklammerte. Er drehte mich zur Wiese hin und sagte: „Da schau!“

Die Wiese wimmelte. Hunderte, ach was, Tausende Regenwürmer ringelten sich im Gras. Der Stromstoß hatte sie aufgeschreckt, in heller Aufregung waren sie aus der Erde geschossen. Überall sah man kleine Klumpen, die Würmer hatten sich ineinander verschlungen. „Schnell“, sagte der Opa und drückte mir ein Marmeladenglas in die Hand. Wir machten in den nächsten fünf Minuten drei Büchsen voll. Das war meine erste Anglerlektion: Würmerfischen. Wer ein echter Angler sein wollte, der musste sie auch an den Haken stecken. Das war die zweite, leichtere Übung: Kleine Kinderhände waren genau richtig, die sich windenden Würmer durchzupieksen, sie zerrissen so leicht. Wir fingen damit schon am ersten Tag acht Schrazen, so werden die Flussbarsche am Chiemsee genannt, sie waren etwa so groß wie Forellen. Am zweiten gingen noch vier an den Haken, die nächste Woche dann keiner mehr. Vielleicht waren den Fischen die Würmer schon zu alt, dachte ich mir. Aber die Würmergabel wieder in die Erde zu stecken, dafür war ich noch zu sehr unter Strom.

Kulinarisch machte ich mir nichts aus dem Fang. Fische, deren Leibspeise offenbar Würmer waren: Da gab es bessere Alternativen. Etwa diese herrlichen Semmelknödel mit Schwammerlsoße oder das Wiener Schnitzel, die es im Wirtshaus gleich am Bootssteg gab. Dort entdeckte ich auch meine Vorliebe für Steckerlfisch. Eine Spezialität bayrischer Biergärten, für die ganze Fische, oft Makrelen oder Renken auf Holzspieße, so dick wie Tauchsiederrohre, gesteckt und über Holzkohle gegrillt werden. Allerdings musste mir mein Opa versichern, diese Fische wurden alle mit dem Netz gefangen.

Ich musste wieder daran denken, als hier in Schweden nach einer halben Stunde ein Hecht anbiss, lang wie ein Kinderarm. An der Schnur hing kein Wurm, sondern ein Messingblinker. Ich habe den Fisch auf einen Stock gesteckt und ein kleines Lagerfeuer angezündet.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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