Mindestens so schön wie die Freiheit, etwas zu tun, kommt mir derzeit die Freiheit vor, etwas lassen zu können. Nehmen wir das Kochen, während Corona mangels Alternativen eine der relevantesten Fragen des Alltags. Ich denke inzwischen schon beim Frühstück darüber nach, was es abends zu essen geben könnte. Früher kam das zwar auch schon vor, nun aber vergeht kein Tag ohne. Noch mit dem Geschmack des Marmeladenbrots auf der Zunge darüber zu sinnen, ob es abends Polenta mit Pilzen, einen Kimchi-Topf oder Linsen mit Spätzle geben soll, ist zwar manchmal seltsam, scheint mir aber gesünder als die morgendliche Dosis aus Inzidenz, R-Wert und Impfquote.
Vielleicht kaufe ich tagsüber noch was ein, abends jedenfalls stehe ich am Herd, schneide und rühre, knete und wende, denke dabei aber immer weniger an mein Essen, sondern an das im Restaurant – und wie ich es vermisse. Ohne die Pandemie wäre es so leicht, das Kochen mal einen Tag sein zu lassen. Nicht zu kochen und dafür einen guten Teller Nudeln vorgesetzt zu bekommen, das kommt mir inzwischen wie echter Luxus vor. So als hätte ich ein wahnsinnig teures Auto. Der größte Luxus an einer Nobelkarosse ist ja nicht, eine solche zu fahren, sondern sie in die Garage stellen zu können, um dann doch die Tram zu nehmen. In dem Bild ist mein Herd die Karosse und das Restaurant die Tram. Man könnte nun zwar sagen, das Bild ist nicht ganz vollständig, schließlich gibt es auch Essen, das geliefert wird. Aber für mich ist Delivery wie ein Elektroscooter zum Mieten: Irgendwie mehr Event als Fortbewegung oder Genuss – einmal und nie wieder.
Freiheit und ihre Einschränkungen, das ist ja seit einem Jahr das Dauerthema. Selbst zu kochen, mich autonom ernähren zu können, für mich war das immer gelebte Freiheit. Zu Anfang Freiheit von der Sahne in der elterlichen Küche, dann vom zähen Wiener Schnitzel in der Mensa oder der Studentenkneipe bis hin zu Freiheit von der Lebensmittelindustrie. Nun stellte ich fest, ich bin nicht mehr frei, zu kochen. Ich bin dazu gezwungen. Das musste ich erst einmal verdauen.
Nein, es geht hier nicht darum, zu kochen, obwohl man an einem Tag vielleicht einmal keine Lust hat. Es geht um das Kochen, wenn man nicht muss. Weil es dann Spaß macht und erst so richtig kreativ wird, wild und gefährlich. Ich musste mir einen neuen Ansatz überlegen, meine Freiheit zurückzuerobern.
Meine erste Idee funktionierte für einen Tag. Sie hieß Improvisation. Bedeutet, man denkt nicht schon beim Frühstück übers Kochen nach und öffnet eine halbe Stunde vor dem Abendessen Kühlschrank und Vorratskammer und zimmert aus wenigem möglichst viel. So habe ich nach langer Zeit mal wieder Spaghetti aglio e olio gemacht, köstlich, aber sie schmeckten nicht nach Freiheit, mehr nach Enthaltsamkeit. Ich fragte mich, wie sollte ich es schaffen, länger als zwölf Stunden nicht übers Kochen nachzudenken. Gibt es da Pflaster?
Die nächste Idee war ein Volltreffer. Ich nehme den Satz wörtlich: Kochen, wenn man nicht muss. Was heißt, ich koche mehr, zu ganz ungewöhnlichen Zeiten und Mengen, da tippt man sich an den Kopf. Manchmal ist es nur eine Säuglingsportion, manchmal wird eine Fußballmannschaft satt. Am liebsten stelle ich mich nach dem Abendessen an den Herd, wenn ich satt bin, oder nach dem Frühstück. Das Wichtigste dabei ist: Es muss zwar schmecken, aber nicht gegessen werden, wenigstens nicht sofort.
Es kostet zugegeben recht viel Zeit, aber ein Gefühl von Freiheit gibt es mir doch, dieses „Overcooking“. Ich werde aber trotzdem so was von froh sein, wenn die Restaurants wieder offen sind.
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