Wie schmecken Schnecken?

Koch oder Gärtner? Leicht nach Kalbfleisch, manchmal nur nach Knoblauchbutter. Wegen der Delikatesse warb Zar Alexander I. den Franzosen sogar einen Koch ab

Es gibt Menschen, die mögen Schnecken vor allem aus einem Grund: wegen des Suds, also der wässrigen Butter, die mit Knoblauch, Schalotten und Petersilie angemacht ist. Diese Beurre d‘escargot gibt es in Frankreich sogar in Supermärkten – ein herrlicher Begleiter zu Baguette und einem Glas Chablis. Die Butter ist hierzulande nicht separat erhältlich. Dies und die Tatsache, dass einer meiner Freunde zu der beschriebenen Sorte Schneckenliebhaber zählt, hat mich auf den Geschmack gebracht: Im Restaurant isst er nur den Sud, ich bekomme die Mollusken.

Schnecken schmecken tatsächlich, um die Frage von Freitag-Leser Milton zu beantworten, nämlich leicht nach Kalbfleisch und den Kräutern mit denen sie aufgezogen worden sind. Wer an provenzalische Schnecken kommt, sollte sofort zugreifen. Diese Schnecken werden in ihren letzten Lebenstagen ausschließlich mit Rosmarin ernährt, für den Geschmack und weil das Kraut die Tiere entgiftet.

Die meisten Menschen finden Schnecken eklig, dabei gehören sie zu unseren ältesten fleischlichen Nahrungsmitteln. Immer wieder werden bei Ausgrabungen Schneckengehäuse gefunden. Schon die Römer entwickelten Schneckengabeln und machten das Gericht europaweit bekannt. Feldherr Lucius Licinius Lucullus (117 – 56 v. Chr.) beklagte einst den Verfall der Esskultur in Rom: „... hier gab es keine Austern, keine Schnecken, keine Muscheln und auch keinen Spargel ...“ An dem Zitat ist vor allem beachtlich, dass sich am Speiseplan der Gourmets in 2.000 Jahren offenbar wenig geändert hat.

Trotzdem gab es eine Zeit, in der Schnecken verpönt waren und als „Auster des kleinen Mannes“ galten. Erst das Rezept Antonin Carêmes, sie in Knoblauchbutter auszubacken, machte die Schnecken Anfang des 19. Jahrhunderts wieder populär. Carême war Leibkoch von Talleyrand und es heißt, er habe das Gericht für ein Dinner zu Ehren von Russlands Zar Alexander I. kreiert. Kurz darauf stand der Koch in russischen Diensten.

Heute sind Schnecken aus der französischen und der spanischen Küche nicht wegzudenken, bei uns besetzen sie nur eine Nische: Badische Schneckensuppe ist der einzige deutsche Klassiker.

Nacktschnecken aus dem Garten sind übrigens durchaus genießbar, auch wenn die Weinbergschnecke als die schmackhafteste Art gilt. Sie kommt aber in freier Wildbahn kaum mehr vor und darf in Deutschland nicht gesammelt werden. Die Chinesen mögen eine schwarze Riesenschnecke, die in den 80er-Jahren aus dem Amazonas-Becken eingewandert und in den Reisfeldern heimisch geworden ist. Sie wird sogar roh gegessen, was aber ziemlich gefährlich sein kann. Vor einigen Jahren kam es deshalb in China zu einigen Meningitis-Fällen.

In Europa kommen Schnecken meist aus der Dose. Aber wenn Sie die aus ihrem Garten zubereiten wollen, sollten Sie sie um Himmels Willen nicht mit dem Spaten zerteilen. Schnecken küchenfertig zu machen ist eine ziemliche Prozedur, das haben sie mit anderen Weichtieren wie etwa dem Tintenfisch gemein. In der ersten Phase werden sie einige Tage auf Totaldiät gesetzt, damit sich ihre Därme entleeren. Dann werden sie in kochendes Wasser geworfen, darin sterben sie in sekundenschnelle. Anschließend werden sie stundenlang in Salz und Essig eingelegt, um sie zu entschleimen – eine ziemlich unappetitliche Prozedur, habe ich mir erzählen lassen. Die Geschichte handelte von einem Eimer gurgelnden Schaums. Die Schnecken können dann aus dem Gehäuse gelöst werden und werden am Ende in Court Bouillon, einer weinhaltigen Brühe, gekocht. Weinbergschnecken zergehen nach dieser Prozedur auf der Zunge, Nacktschnecken haben noch etwas Biss.

Wie schmecken Schnecken?Koch oder Gärtner? Heute der Koch. Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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