Edeka verkauft testweise hässliches Obst und Gemüse. Eine interessante Nachricht. 40 Prozent der Ernte sind nämlich im Schnitt Ausschuss, weil sie den optischen Ansprüchen der Kunden nicht genügen. Krumm gewachsen, mit Flecken oder seltsamen Kerben. Und obwohl einwandfrei verzehrbar, sind diese Wunderlinge bisher unverkäuflich. Landwirte pflügen solch Gemüse meistens wieder unter, verarbeiten es zu Tierfutter oder geben es an die Saftbranche. Nun hat sich die Einzelhandelskette ein Herz genommen und versucht, dafür Kunden zu finden, nach einem Vorbild aus der Schweiz. Denn schließlich: Niemand ist perfekt. Und was kann das arme Gemüse dafür, dass es nicht als gleichförmige Konfektionsware in die Supermarkt-Auslage passt?
Auf meinem Markt steht ein Händler, der schon seit einiger Zeit Gemüse mit eigenwilligem Aussehen vertreibt. Ich krame immer mal wieder in den Kisten und bin fasziniert: mehrspitzige Karotten, Rote Bete, die wie ein Boxhandschuh geformt ist, Kartoffeln von der Gestalt eines Stehaufmännchens. Hässlich? Nein, das ist solch Gemüse ganz und gar nicht. Keineswegs abstoßend, höchstens schwer zu putzen. Mich erinnern die Dinger an seltsam geformte Steine, die in Asien oft als Accessoires auf Möbel stehen. Ich glaube, sie dienten einst als Meditationshilfen. Mir geht das auch so mit den vegetarischen Sonderlingen. Ich kann sie lange ansehen. Und vielleicht bringe ich statt eines Zierkürbisses mal eine unförmige Runkelrübe als Gastgeschenk mit. Aber kochen? Für mich hat dieses Gemüse Persönlichkeit.
Auf dem gleichen Markt, aber vor einem anderen Gemüsestand, ist vor ein paar Monaten eine Frau der gesammelten Kundschaft unangenehm aufgefallen. Denn von der Schlange hinter ihr ließ sie sich nicht abhalten, den Händler über die Qualität seiner Ware genauestens auszufragen. „Ich brauche die Tomaten, aber nicht zu süß.“ – „Die Äpfel sollen noch eine Woche lagern können.“ – „Schmecken die Gurken denn auch?“ Es war eine kleine Inquisition! Sie nahm Ware prüfend in die Hand, drückte und schnupperte daran und gab sie kopfschüttelnd wieder zurück. Hinter mir in der Schlange fingen Menschen an, mit den Füßen zu trippeln. Ich war fasziniert, erlebte eine Reise auf einen südfranzösischen Wochenmarkt. Und wartete, dass einer der grummelnden Anstehenden gleich sagen würde: „Also, entschuldigen Sie: Wir sind hier in Deutschland.“
Was haben die zwei Geschichten gemeinsam? Sie rufen beide auf je eigene Weise in Erinnerung: Der Satz „Eine Zwiebel ist eine Zwiebel ist eine Zwiebel“ stimmt nicht. Und das haben offenbar schon Menschen vergessen, die auf den Wochenmarkt gehen, um bewusst einzukaufen, und dort bessere Qualität erwarten. Auch dort regiert das gelernte Supermarktverhalten. Sie bedienen sich wortlos aus den Kisten, stellen sich an der Waage an und runzeln kritisch die Stirn, wenn ein Mitkunde noch Auskunft will. Ich werde zwar oft gefragt, wo man guten Fisch bekommt, und nach einem Metzger, der Vertrauen verdient. Aber bei Gemüse? Da müsste ich wirklich überlegen.
Gut, man drückt an Avocados oder riecht einmal an der Unterseite einer Honigmelone. Anspruchsvoll oder kritisch begegnen wir aber sonst selten dieser Ware, wenn sie nur frisch und farbig aussieht. Wir greifen zu Gemüse zwar nicht so gedankenlos wie zu Joghurt und Milch im Frischeregal. Wir suchen uns aber gedankenlos das schönste aus, wie im Blumenladen. Ich halte immer wieder Ausschau nach der strengen Käuferin. Was würde sie wohl vor dem Stand mit dem wunderlichen Gemüse sagen. Vielleicht: „Geben Sie mir Rote Bete. Aber bitte, sie soll nicht so erdig schmecken.“
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