„Zigeunersoße“ – die Erfindung von Tradition

Essen Wie kommen Speisen zu ihren Namen? Und müssen die politisch korrekt sein? Der Koch geht auf Spurensuche
Ausgabe 42/2013
„Zigeunersoße“ – die Erfindung von Tradition

Illusutration: Otto

Seit Jahren meide ich Gerichte, wenn der Begriff Zigeunersoße auftaucht. Denn er ist eindeutig Signal für: Hier gibt es traurige deutsche Schnitzelküche, also fade, trocken gebratene Fleischstücke, die in Unmengen süßer und überwürzter Dickflüssigkeit versenkt wurden. Mir ist vor allem ein Rätsel, wie da von Soße die Rede sein kann. „Zigeunerpampe“, so müsste es eigentlich heißen. Deswegen muss man darüber reden, wenn die Sinti und Roma nun fordern, dass der Begriff Zigeunersoße, weil negativ konnotiert, von Speisekarten und Ketchupflaschen verschwindet. Ich bin sicher nicht allein, wenn ich dabei an Pampe denke. Und zweitens ist das, was die Verteidiger des Begriffs als Argumente ins Spiel bringen, ziemlicher Unsinn. Es gibt keinerlei Gründe, warum der Begriff Schutz verdient hat. Dabei muss man erst gar nicht über den rassistischen Begriff Zigeuner diskutieren.

Was uns zu der Frage bringt: Wie kommen Speisen zu ihren Namen? Und ist es schützenswert, dass Gerichte „schon immer“ so hießen, weil sich der Titel am Ende als so etwas wie ein Kulturgut herausstellt? Im Fall der Zigeuners0ße wurde nun ein Sprachforscher eingeschaltet. Vielleicht auch, um diese viel tiefer gehenden Fragen zu klären. Ich greife mal vor: Die wenigsten Gerichte unserer Küche können dem Namen nach bis in die Antike und zu irgendwelchen anderen respektheischenden Vorvätern zurückverfolgt werden. Kennen Sie ein Gericht, als dessen Namensgeber Goethe oder die Gebrüder Grimm auftauchen? Also! Vorsicht mit kulturellen Hoheliedern. Klingende Namen in westlichen Küchen gehen in Ausnahmefällen bis auf die französische Revolution zurück, meist liegt der Ursprung irgendwo zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Einfach, weil in dieser Zeit das gedruckte Wort in Küchendingen so richtig aufgekommen ist und deshalb noch ein Konvolut an Speisekarten und Rezeptbüchern existiert.

Das zu wissen hilft, wenn man liest, der Begriff „Zigeunersoße“ habe eine lange Tradition. Er werde in der Küchentechnik bereits seit mehr als hundert Jahren verwendet und sei schon 1903 im Guide culinaire von Auguste Escoffier zu finden, auch bekannt als Erfinder der Birne Helene. Ich finde, wer mit Escoffier ankommt, sollte erst mal dafür sorgen, dass sein Name von Suppendosen verschwindet, die Gourmetgenüsse versprechen, deren Inhalt sich von Maggi aber nicht unterscheidet.

Ehrwürdige alte und gleichzeitig politisch unkorrekte Namen gibt es nicht mehr viele. Ich kenne nur einen Fall aus China: Gong Bao Ji Ding, Hähnchen mit Erdnüssen, ein Klassiker aus Szechuan. Es heißt nach einem alten, magenkranken General. Viele Chinesen kennen diese Geschichte. Während der Kulturrevolution versuchten die Kommunisten, das Gericht umzubenennen und das Gedächtnis an alte imperialistische Zeiten zu tilgen – ohne Erfolg.

Wer heute glaubt, eine Bezeichnung sei besonders erhaltenswert, der hat für Schutz gesorgt. Wie bei Aachener Printen oder schwäbischen Spätzle. Das sind regionale Herkunftsbezeichnungen. Trotzdem: Die Verbraucher verbinden damit eine bestimmte Geschmacksvorstellung, sagen nun die Hersteller, die gar auf die Idee kommen wollen, ihre Zigeunersoße anders zu bezeichnen. Aber wie so oft: Der Begriff ist der Phantasie entsprungen, appelliert an die Phantasie und ist gleichzeitig so unbestimmt wie möglich. Würde man das Gericht künftig ungarische Paprikasoße nennen, könnte ja Foodwatch herausbekommen, dass darin nur 0,1 Prozent Paprika aus Ungarn stecken. Was dann? Ist es hilfreich, wenn das Zigeunerschnitzel bald wie in den städtischen Kantinen von Hannover „Schnitzel Balkan Art“ heißt? Das hat auch Geschmäckle. Klingt jedenfalls immer noch ziemlich pampig.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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