Deutschsprachige Medien vor feindlicher Übernahme

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Okkupieren ist gerade ein politischer Trend, wenn auch zumeist nur symbolisch praktiziert. Nun soll auch das Feuilleton besetzt werden. Oder zumindest erst einmal die Straßenlaternen. Zwischen beiden Dingen liegt zwar nicht nur materiell, sondern auch in der Strahlkraft ein erheblicher Unterschied, aber wer nicht in höhere Kreise hineingeboren wurde, muss ja zumeist klein anfangen, will er Großes erreichen.
Occupy the Feuilleton steht groß auf dem Aufkleber, links unten ein stilisiertes Porträt von Frank Schirrmacher, daneben die Unterzeilen: Kritisiert die Kritiker! Beobachtet die Beobachter! Eine Initiative zur Rettung des Geistes! Und klein unten in der rechten Ecke (sic!) das Logo eines Bogenschützen und der Schriftzug Blaue Narzisse. lesen und handeln.
Die Blaue Narzisse ist eine Internetplattform, hervorgegangen aus einer Chemnitzer Schülerzeitschrift, die von der Pennalen Burschenschaft Theodor Körner initiiert wurde. Man kann sie als so etwas wie eine Jugendbrigade der nicht mehr so ganz jungen Jungen Freiheit ansehen. Für diese ist BN-Chef Felix Menzel auch gelegentlich tätig, ebenso für Götz Kubitscheks Zeitschrift Sezession. Tätig sein heißt nicht nur Artikel schreiben, sondern auch in Kubitscheks Konservativ-subversiver Aktion mitwirken, indem etwa Veranstaltungen mit Linksradikalen wie Günter Grass oder Daniel Cohn-Bendit gestört werden. Der Name der Aktion deutet schon darauf hin, dass man Mittel des politischen Handelns der eigentlich so verhassten 68er politisch wenden will.
Im vergangenen Jahr hatten es diese Zirkel nicht leicht, die zwar auf keinen Fall als Nazis gelten möchten, sich aber deutlich rechts des im Bundestag präsenten Parteienspektrums sehen. Zuerst das Breivik-Attentat, dann die Aufdeckung der NSU-Zelle. Und kurz vor Silvester noch die Veröffentlichung der Nazi-Leaks durch Anonymous. Von den Zwickauer Terroristen meinten sich die Autoren von BN wie auch Sezession recht einfach distanzieren zu können. Zum historischen deutschen Nationalsozialismus bemühen sie sich um formelle Distanz. Nicht so von anderen Diktaturen wie die Pinochets oder Mussolinis. Nur mit Sozialismus darf es eben nichts zu tun haben, da sind sie eifrige Anhänger der Totalitarismuslehre.
Schwerer haben sie es mit Anders Breivik, ist doch einer der Schlüsselbegriffe in dessen 1500-Seiten-Pamphlet jene „Konservative Revolution“, welche die Neuen Rechten ebenfalls anstreben. Doch auch dazu findet man eilig angebrachte Abstandshalter, notfalls juristische Anzeigen wegen Verleumdung, wenn doch jemand Schnittmengen festzustellen meint.
Nun also statt der zuletzt erzwungenen Dauerverteidigung wieder eine Offensive. Die Blaue Narzisse will zunächst die linke Polithoheit der Straßenlaternen zunichte machen. Dazu dient eine ganze Serie von Aufklebern – die Europafahne als Stacheldrahtkranz umgeformt, „Ganz normal heterosexuell“, für ein Europa der Regionen und Völker, „Niemand in meiner Klasse spricht deutsch“ etc. Die Mittel ihres Kampfes müssen sie sich erneut im gegnerischen Lager ausborgen. So gab es schon mehrfach Anleitungen und Aufrufe, Street Art, Popkultur oder Poetry Slam für rechtskonservative Zwecke umzunutzen. Auch ihr Slogan von der Hegemonie im vorpolitischen Raum stammt ja vom Marxisten Antonio Gramsci. Ganz neu ist die Aneignung der Parole nicht, und die mangelnden Erfolge ihres andauernden kulturpolitischen Besetzungskampfes lassen zuweilen resignative Untertöne anklingen: Die Bauchnabelschau von Nationalen bzw. Konservativen ist dafür verantwortlich, daß sie ihre kulturellen Aufgaben vollkommen aus den Augen verlieren und somit an ihrer Abschaffung mitwirken.
Die frisch gedruckten Aufkleber, käuflich für je einen Euro erwerbbar, seien ein Aufruf gegen die Allmacht der Jakobiner in den meinungsbestimmenden Feuilletons. Und warum dann gerade Schirrmacher als Anti-Ikone, quasi als Robespierre der deutschen Medien? Da für die Blaue Narzisse das meinungsdiktierende linke Lager haarscharf hinter der NPD anfängt, folglich CDU/CSU, FDP und auch die Freiheit von Stadtkewitz einschließt, ist das ganz natürlich. Die linken Medien reichen von Junge Welt und taz bis Welt und Bild, der Freitag darf sich irgendwo mittendrin suchen. Da ist der FAZ-Herausgeber eben ein Musterbeispiel für das, wogegen die Blauen Narzissten kämpfen: Gleichmacherei, Meinungsdiktatur, Scharia und Sozialismus. Wie ich mich doch bisher in ihm geirrt habe.
Auch wusste ich noch nicht, dass der Weg ins deutschsprachige Feuilleton über die Hoheit an den Laternenmasten führt, sonst wäre ich schon viel intensiver klebend tätig geworden. Aber mal angenommen, sie haben Erfolg. Michael Angele muss seinen Schreibtisch also bald an Felix Menzel abgeben, Kubitschek übernimmt die Kulturredaktion der FAZ, Marco Reese hat bei Lettre international das Sagen und Martin Lichtmesz beim Spiegel. Zwar wären Scharia und Sozialismus damit in Deutschland noch nicht sofort überwunden, das ist mit rein publizistischen Mitteln nicht zu schaffen, doch zumindest mit Gleichmacherei und Meinungsdiktatur wäre schlagartig Schluss. Ungarische Zustände! Eine Nebenerscheinung könnte allerdings sein, dass Deutsche Stimme und Junge Freiheit eingehen, weil sie keiner mehr benötigt.
Fast befürchte ich aber, dass es nicht ganz so einfach laufen wird. Möglicherweise müssen die Jungs von „Occupy the Feuilleton“ ihren linken Stichwortgebern noch ein Stück des Weges weiter nachlaufen und zwecks Rettung des Geistes Zeltlager vor den Medienmonopolen aufschlagen. Werte Freitag-Redakteure, macht euch auf harte Zeiten gefasst. Wahrscheinlich müsst ihr euch wochenlang auf dem Weg zur Arbeit durch eine wütende Meute von Nonkormisten kämpfen und dann doch kapitulieren. Ich hoffe, dass die härtesten von euch danach noch ein kleines hektografiertes Blättchen produzieren. Ich würde ab und zu kostenfrei Beiträge liefern. Vielleicht auch Schirrmacher.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jens kassner

Subjektives zu Politik, Kultur und anderen schönen Dingen

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