Vivisektion eines Teebeutels

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mit dem Wutausbruch eines TV-Reporters in der Chicagoer Börse soll sie begonnen haben – die als Tea Party bekannt gewordene straff rechte Bewegung inner- und außerhalb der Republikaner in den USA. Am 19. Februar 2009 redete sich Rick Santelli vor laufender Kamera des Wirtschaftssenders NBC in Rage, weil die Obama-Regierung, erst seit wenigen Wochen im Amt, ein Hilfsprogrogramm für in Not gerate Hauskäufer aufgelegt hatte, das vom Umfang her eigentlich bescheiden war im Vergleich zu den Rettungsmaßnahmen für Banken auf dem Gipfelpunkt der Finanzkrise. „Wie wäre es mit einem Referendum darüber, ob wir wirklich die Hypotheken dieser Versager subventionieren sollen?“ rief er aus und schlug vor, nach Vorbild der historischen Boston Tea Party, dem Startschuss der Unabhängigkeitskriege von 1773, einige Derivatpapiere der Börse im Lake Michigan zu versenken. Schon an dieser Initalzündung wird die Verlogenheit vieler Argumente der Tea Partier sichtbar, waren es doch gerade die Derivatehändler, die diese Krise ausgelöst hatten.

Die Amerikanistin Eva C. Schweitzer, seit vierzehn Jahren in New York lebend, zeichnet in ihrem neuen Buch ein umfassendes Bild dieser Bewegung. Dafür ist sie durch das Land gefahren, hat an Wahlkampfveranstaltungen, Demonstrationen und anderen Veranstaltungen teilgenommen und mit den bekannten Personen der Tea Party selbst gesprochen. Aber auch mit ihren Kritikern. So ist eine Reportage in plastischer bis sarkastischer Sprache entstanden, keine straff strukturierte Analyse. Zudem flicht sie ausführliche Beschreibungen von Lokalitäten in den USA, dem „großartigsten Land der Welt“ nach Meinung nicht allein der Konservativen, in den Text ein, ebenso Ausflüge in die Geschichte des Landes bis hin zur Zeit der von der Tea Party so heiß geliebten Gründungsväter. Die Verfahrensweise hat Vor- und Nachteile. Ein großer Vorteil ist, dass dem in den gegenwärtigen und historischen Interna der USA nicht so vertrauten Leser eine Menge Hintergrundwissen geboten wird, ohne das die Forderungen dieser politischen Strömung kaum verstanden werden können. Ein gewisser Nachteil ist, dass die im Untertitel des Buches zu Recht behauptete Gefahr, die von ihr ausgeht, etwas zerfasert wird in all den Differenzierungen.

Differenziert werden muss aber. Da ist zum einen der Unterschied zwischen der Aufbruchzeit 2009 und dem Zustand 2011 bemerkenswert: „Die Tea Party startete keineswegs als Verein von Ultrareligiösen. Sie war ein Bündnis von Libertären und Konservativen, die gegen einen zu starken Staat protestierten, gegen die Gängelung durch zu viele Gesetze, die zurück zu den freiheitlichen Ursprüngen der amerikanischen Verfassung wollten – freie Religionsausübung, freie Rede, Waffenbesitz -, die sich darüber empörten, dass die Wall Street und die Immobilienversicherungen mit Unsummen von Steuergeldern gerettet wurden, und die nicht Abermilliarden für die Kriege im Irak und in Afghanistan ausgeben wollten. Wie ist daraus eine Bewegung von Washingtoner Insidern, Berufspolitikern und Lobbyisten geworden, zu deren Zielen es gehört, in amerikanischen Betten zu schnüffeln, den Militärhaushalt aufzuplustern und Zäune gegen Immigranten zu bauen?“

Und da gibt es die diversen, sich manchmal direkt ausschließenden Standpunkte der Exponenten und Trittbrettfahrer. Bei Michele Bachmann und Sarah Palin, den weiblichen Gesichtern, ist die provinzielle Unschuld nur durch religiösen Eifer, nicht aber durch vertieftes politisches Wissen getrübt. Auf dem anderen Flügel steht Newt Gingrich, der tief in die Washingtoner Machtelite verwoben ist, gegen welche die Tea Party angeblich ankämpft. Noch viel mehr als RINO (Republican in name only) wird der moderate Mormone Mitt Romney beargwöhnt. Dann gibt es den hemdsärmlichen Rick Perry und den einzigen Dunkelhäutigen in der Führungsriege, Pizzabäcker Herman Cain, ebenso wie den Exoten Ron Paul. Dieser nimmt das Libertäre (ein Begriff, der im Buch im Unterschied zu vielen anderen leider kaum erklärt wird) ausgesprochen ernst und fordert den Rückzug aller US-Truppen aus anderen Weltgegenden. Als Präsident ist er damit untragbar.

Eva C. Schweitzer stellt nicht nur die führenden, wenn auch häufig recht einfältigen Köpfe der Tea Party nachvollziehbar dar, sondern auch die Denkstrukturen ihrer zu 95 Prozent weißen Anhängerschaft sowie die finanzkräftigen Unterstützer aus der Wirtschaft wie etwa Donald Trump und die im Chemiegeschäft tätigen Brüder Koch, die Propagandisten in den Medien – allen voran Fox News, und die Think Tanks im Hintergrund.

So ergibt sich ein vielschichtiges Bild, das nicht ganz leicht zu sortieren ist. Es herrscht zumeist unverhohlener Rassismus vor, der sich gerade am ersten farbigen Präsidenten, dem „marxistischen Moslem arabischer Herkunft aus Kenia“, festmacht. Es gibt wüste Antisemiten, aber auch fanatische (christliche) Unterstützer der israelischen Regierungspolitik. Religiöses Hardlinertum einigt fast alle Tea Partier, aber in ganz unterschiedlichen konfessionellen Strömungen. Ob sie denn nun für einen Abbau der Steuern sind, wie häufig plakativ behauptet, wird nicht ganz klar. Und die Ablehnung der als kommunistisch verschrienen Sozialfürsorge gerät ins Wanken, wenn die staatliche Rentenversicherung in Frage gestellt wird. Auch wenn wegen dieser Zerstrittenheit die Wahl des kommenden US-Präsidenten eher fraglich ist, stellt das unappetitliche Gebräu aus rechtspopulistischen Ressentiments tatsächlich eine Gefahr dar, auch für die Welt außerhalb Amerikas.

Das Buch kommt noch rechtzeitig, um im laufenden und noch unentschiedenen Vorwahlverfahren der Republikaner Überblick zu gewinnen. Doch auch nach dem Herbst 2012 wird es von Wert sein. Selbst wenn sich die Tea Party im Herbst 2012 in alle Richtungen verlaufen sollte, muss man weiterhin mit den von ihr vertretenen politischen Standpunkten ernsthaft rechnen.

Eva C. Schweitzer
Tea Party
Die weiße Wut. Was Amerikas Neue Rechte so gefährlich macht
München: dtv, Januar 2012
ISBN 978-3-423-24904-1

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jens kassner

Subjektives zu Politik, Kultur und anderen schönen Dingen

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden