Die Heroin-Industrie

Drogenhandel Afghanische Plantagen haben im vergangenen Jahr 3700 Tonnen Opium produziert. Nun wird eine Rekordernte erwartet. Wie funktionieren Handel und Vertrieb? Ein Überblick

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Die Heroin-Industrie

Foto: John Moore/Getty Images

Die Provinz Helmand spielt in der Drogenökonomie Afghanistans eine Schlüsselrolle. Fast die Hälfte der Anbauflächen für Opium liegt dort. Das Afghanistan Opium Survey 2012 der Vereinten Nationen spricht von insgesamt 154.000 Hektar in Afghanistan – davon 75.000 Hektar in Helmand. Die Sicherheitslage begünstigt den Anbau. Weite Teile des Landes gelten als von Taliban und Aufständischen kontrolliert. Selbst in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Lashkar Gah stuft die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht 2012 die Bedrohungslage als „hoch“ ein. In jedem zweiten Dorf der Provinz wird Opium angebaut. Der Kampf gegen die Opiumplantagen beschränkt sich deswegen weitestgehend auf Zentral-Helmand und die Umgebung von Lashkar Gah. Zwar wurden Tausende Hektar Opiumfelder vernichtet – in den Auseinandersetzungen wurden im Jahr 2011 allerdings 50 Polizisten und Farmer getötet. Insgesamt fast 50 bewaffnete Angriffe verzeichneten die ausgesandten Teams. Und der Opiumhandel ist weiter ertragreich und expandiert.

Der Wandel der Wertschöpfung

Trotz anhaltender Überproduktion in den letzten Jahren bleiben die zu erzielenden Gewinnmargen für Drogenbauern- und händler stabil. Nach der missglückten Ernte im Jahr 2010 stieg der Preis für ein Kilo Rohopium im Jahr 2011 auf 241 US-Dollar, im Jahr 2012 ging er leicht zurück. Insgesamt, so steht es im Afghanistan Opium Survey, setzten afghanische Farmer im Jahr 2011 mit Opiumanbau 1,8 Milliarden US-Dollar um – zwei Jahre zuvor waren es nur 440 Millionen, im Jahr 2012 fiel der Umsatz wieder auf 717 Millionen US-Dollar.

Der Anstieg ist möglicherweise nicht nur auf steigende Preise zurückzuführen. Vermehrt gehen afghanische Opiumhändler dazu über, das Heroin bereits auf afghanischem Gebiet zu raffinieren. Ging UNODC im Jahr 2007 noch von etwa 90 Heroinlaboren in Afghanistan aus, spricht der Bericht zum Opiumhandel im Jahr 2011 bereits von etwa 300 bis 500 Produktionsstätten im Land. Zwei Drittel der jährlichen Opiumernte werden mittlerweile in ihnen raffiniert. Gewinne, die durch die Verarbeitung sonst in der Wertschöpfungskette entlang der Schmuggelrouten erwirtschaftet wurden, fließen so den afghanischen Händlern direkt zu. 50 Prozent des in Afghanistan raffinierten Heroins wird in Laboren im Süden des Landes gewonnen.

Heroin-Precursor aus Europa

Neben der unstabilen Sicherheitslage begünstigen auch die nahen Grenzen mit Iran und Pakistan die Lage der südlichen Provinzen für Opiumhandel und Heroinproduktion. Traditionelle Schmuggelrouten führen in die Nachbarländer, die Seehäfen dort werden wiederum genutzt um das für die Heroinherstellung notwendige Essigsäureanhydrid zu importieren. Mittel- und Südosteuropa gelten als wichtigste Lieferanten für die Chemikalie, die – eingebettet in legalen Handel - bei relativ geringem Risiko sehr hohe Gewinne verspricht. Die Entdeckungsgefahr ist gering. So zum Beispiel im Hafen von Karachi, wo jährlich 40 Millionen Tonnen Ware umgeschlagen werden: strategisch günstig an der 600 Meilen langen Küste zwischen der Straße von Hormus und der Grenze Pakistans mit Indien gelegen, dient der Hafen neben seiner Bedeutung für die legale Wirtschaft auch für den Umschlag von Waffen und Drogen. Essigsäureanhydrid soll dort laut Vermutungen deutscher Ermittler in versiegelten Containern mit Ziel Afghanistan auf Lkw verladen werden. Ausgewiesen ist es meist als Maschinenöl. Erst 2010 beschlagnahmten pakistanische Ermittler 15 Tonnen des Heroin-Precursors im Hafen Quasim - abgefüllt in Farbfässer, gestapelt in einem ISO-Container. Eine beachtliche Menge und doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Insgesamt 475 Tonnen der Chemikalien werden jährlich in Afghanistan zur Heroin-Herstellung benötigt.

Europäische Zulieferer sind für die Versorgung offenbar entscheidend. Allein in Slowenien und Ungarn wurde im Jahr 2008 eine Menge von 156 Tonnen Essigsäureanhydrid beschlagnahmt, die für den Export nach Afghanistan bestimmt war.

Ist das Essigsäureanhydrid erst einmal durch die Kontrollen geschleust, nimmt es von Karachi aus seinen Weg über die weitestgehend ungesicherten Grenzen Afghanistans. Was tatsächlich in den Containern befördert wird, die täglich die Grenzen in Baram Char und Spin Buldak passieren: Fahnder können es nur ahnen. Laut Mitarbeitern der afghanischen Grenzpolizei sind die Flüchtlingslager südlich der Grenze und der Basar im Grenzdorf Baramcha erste Anlaufstationen für den Weiterverkauf der Schmuggelware. Die nahegelegenen Grenzübergänge sind die Hauptschlagader des Essigsäureanhydrid-Schmuggels.

Ähnlich sieht es an der Grenze mit Iran aus. Über die Balkanroute und die südlichen Häfen schafft es die Chemikalie in den Iran, von wo aus sie per Lkw die Grenze nach Herat überquert. Ein großer Anteil des Essigsäureanhydrids, das bei Turghundi die Grenze hinter sich lässt und für die Provinz Herat und den Süden des Landes bestimmt ist, soll laut einem UNODC-Bericht (2007) aus Deutschland stammen.

Handel, Markt und Logistik

Der Süden Afghanistans ist so zum Dreh- und Angelpunkt der grenzüberschreitenden Drogenwirtschaft geworden. Aus Zentral- und Ostafghanistan laufen die Transporte über die Route von Nangarhar über Kabul und Helmand nach Nimruz, 60 Prozent des im Norden geernteten Opiums fließen per Lkw zu Weitertransport- und verarbeitung in den Süden. Dort wird es mit Hilfe der aus dem Ausland importierten Chemikalien zu Heroin raffiniert, exportiert oder zwischengelagert.

Nördlich von Lashkar Gah, nördlich des Kandahar-Herat-Highways, und bei Musaquala existieren größere Märkte für Opium. Viele kleinere Märkte orientieren sich naturgemäß an kleineren Siedlungen. Sie werden von Brokern beliefert, die unter falschem Namen für Händler auf regionaler Ebene – meist Kommandeure und ähnlich regional mächtige Akteure, die zum Teil mit bewaffneten Gruppen die Farmer schützen - die Ernte der Farmer aufkaufen. Das BKA geht davon aus, dass der Anbau zu einem großen Teil von Familienclans organisiert wird, deren Vorstände mit Hilfe von Beziehungen zu Kommandeuren und Regierungsstellen die Felder vor Vernichtungsaktionen der ISAF und der ANA beschützen. Händler ermutigen Farmer zum Anbau indem sie Vorauszahlungen leisten.

In den derart versorgten Märkten kaufen Händler der Provinzebene zum Weiterverkauf. Händler dieser Ebene operieren oft auch abseits der Handelsplätze, kaufen über Mittelsmänner und Broker die Opiumerträge direkt bei den Farmern ein und lassen sie zunächst in ihren eigenen Morphin- und anschließend Heroinlabore oder die ihrer Partner transportieren – während sie selbst das Drogengeschäft der Provinz von außerhalb kontrollieren. Über die Provinz verteilt gibt es geschätzt Dutzende bis Hunderte solcher Labore versteckt entlang der größeren Straßen. Qualitativ hochwertiges Heroin in kristallisierter Form wird aber vermutlich – bis auf Ausnahmen – nur in den Laboren an der südlichen Grenze zu Pakistan produziert.

Die Händler der Provinzebene beliefern wiederum Großhändler, die enge Beziehungen zu international tätigen Netzwerken unterhalten, den Import der Chemikalien und den Export des Heroins und Opiums organisieren sowie in besten Beziehungen zu korrupten Regierungsoffiziellen stehen. Diese Großhändler vertreiben im Schnitt etwa 500 Kilogramm Opium pro Monat. Es soll etwa 300 bis 500 Händler dieser Größenordnung in Afghanistan geben, die ebenfalls in der legalen Wirtschaft aktiv sind, häufig im Autohandel. Bis zu 40 Prozent des jährlichen Ertrags sollen von ihnen gelagert werden, um auf Preisschwankungen reagieren zu können.

Auf allen Ebenen des Handels wird vermutet, dass Regierungsoffizielle mit etwa 5 Prozent des Erlöses geschmiert werden - so sie nicht direkt in den Handel verstrickt sind. So gaben beispielsweise 30 Prozent der von UNODC interviewten Betreiber von Drogenlaboren an, Sicherheitskräfte zu bestechen, um ihre Heroin-Produktion zu schützen.

Die Truppen der ISAF und der ANA versuchen, in konzertierten Aktionen die Produktionsstätten zu vernichten: Im Juli 2010 gelang es internationalen und afghanischen Truppenverbänden, in nur zwei Aktionen im südlichen Helmand, 11,6 Tonnen Opium und 5,5 Tonnen Heroin zu beschlagnahmen. UNODC geht davon aus, dass die größten Händlernetzwerke allerdings dazu in der Lage sind, ihre Lager und Produktionsstätten selbst vor Koalitionstruppen zu beschützen.

Über die Grenze: die Schmuggelrouten

Der Export des Heroins – im Jahr 2011 wurden 380 bis 400 Tonnen produziert - verläuft zu einem nicht unerheblichen Teil über die westlichen Provinzen mit Grenzen zu Iran. Dort operieren kriminelle Netzwerke, die das Heroin über die Grenze schaffen. Von 365 Tonnen Heroin, die im Jahr 2009 in Afghanistan produziert wurden, gingen 115 Tonnen über die Grenze nach Iran, 165 Tonnen nach Pakistan. Etwa 1.050 Tonnen Opium – von insgesamt 1.200 bis 1.400 exportierten – liefen über die Süd-West-Route in die Islamische Republik.

Zu diesem Zweck transportieren Händler Heroin und Opium über Land zu nahe der Grenze gelegenen Dörfern in Herat und Farah, wo sie für gewöhnlich maximal einige Tage zwischengelagert werden. Bewacht sind die Opium-Konvois von schwer bewaffneten Gruppen bis zu zehn Mann, die für ihre Dienste zwischen 2.000 und 2.500 US-Dollar kassieren. Einheimische transportieren dann die lukrativen Exportwaren in kleinen Einheiten bis zu 20 Kilogramm über verschlungene Wege nach Iran – für einen Lohn von etwa 400 US-Dollar pro Tour. Die Reise dauert etwa zwei Nächte. Werden große Lieferungen von den Milizen selbst über die Grenze befördert, ist das Vorgehen minutiös geplant.

Stammesfürst Mansoor Khan, der im Südwesten des Landes residiert, und seinen Reichtum bereits seit der Sowjetbesatzung dem Opiumhandel verdankt, schickt seine Trupps regelmäßig in den Iran (in dieser Dokumentation zu sehen). Die mit Maschinengewehren und Panzerabwehr ausgestatteten Konvois durchqueren die Dasht-e-Margo, die Wüste des Todes, passieren durch die Polizei gesicherte Routen, treffen sich im Grenzgebiet mit Kundschaftern zu Pferd und riskieren schließlich den verlustreichen Kampf mit iranischen Anti-Drogen-Militärs. Im Kampf gegen den Drogenschmuggel steht die Islamische Republik an vorderster Front und geht mit äußersten Anstrengungen und enormer Härte gegen die Transporteure und Händler vor. Unterwandert werden die Bemühungen durch hohe Regierungsbeamte – womöglich sogar durch die Revolutionsgarden selbst.

Im Falle des Schmuggels nach Pakistan übernehmen schwer bewaffnete Taliban-Gruppen den Geleitschutz an die südlichen Grenzen von Helmand, Kandahar und Nimroz. Dort angekommen, nutzen Schmuggler sowohl den offiziellen Grenzübergang in Chaman, als auch Hunderte inoffizieller Wege. Koordiniert wird der Schmuggel von paschtunischen und baluchischen Familienverbänden, die zum gegenseitigen Vorteil kooperieren. Auf beiden Seiten der Grenze werden erhebliche Opium-Speicher vermutet, um die Labore in der Region zu versorgen.

Das Geld der Drogenwirtschaft

Ein großer Teil der durch Opiumhandel erzielten Gewinne wird durch das informelle hawala-System in die Wirtschaft geschleust oder außer Landes gebracht. US-Behörden gehen davon aus, dass etwa 1 Milliarde US-Dollar jährlich allein in Helmand und Kandahar auf diese Weise transferiert werden. Lizensierungsverfahren gibt es hauptsächlich in Kabul - in Helmand und Kandahar ohnehin nicht. 80 bis 90 Prozent der hawala sollen dort mit Drogengeld operieren. Große Teile dieses Geldes sollen laut geleakten US-Kabeln nach Dubai fließen, sowohl über hawala, als auch über Kuriere in Flugzeugen. Allein auf legalem Wege verlässt etwa 1 Milliarde US-Dollar jedes Jahr Afghanistan in Richtung Dubai, Ausgangspunkt ist hauptsächlich Kabul International Airport. 10 Milliarden US-Dollar sollen afghanische Geschäftsleute schon im Jahr 2009 dort investiert haben.

In Helmand und Kandahar existieren laut UNODC etwa 50 hawala, die sich auf Drogengelder spezialisiert haben. Als Beispiel wird im Bericht von 2006 angeführt, dass ein Betreiber angab, etwa 350.000 US-Dollar pro Tag zu transferieren. Alle von UNODC interviewten hawala-Händler gaben an, dass nur Mazar-i-Sharif mehr Drogengeld umschlage. Der Bericht führt aus, Zahlungen für Drogenlieferungen liefen über Banken in Iran, Dubai und Pakistan – kämen aber häufig aus Groß-Britannien und den USA.

Quellen

UNODC: Afghanistan Opium Survey, 2009 - 2012

UNODC: The Global Afghan Opium Trade, 2011

UNODC: World Drug Report, 2011 - 2013

UNODC: Targeting Precursors used in Heroin Manufacturing, 2012

UNODC: Addiction, Crime and Insurgency, 2009

UNODC: Monitoring the drug flow in Afghanistan, 2007

UNODC: Afghanistan, Opium Risk Assessment, 2013

UNODC: Afghanistan's Drug Industry, 2006

US Department of State: International Narcotics Control and Strategy Report, 2012

Weiterführende Literatur

Maaß, Citha D.: Afghanistans Drogenkarriere - Von der Kriegs- zur Drogenökonomie, 2010, Berlin

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