Hohe, graue Mauern, Stacheldraht drüber, drumherum nur plattes Land: Auf den ersten Blick sieht das Gefängnis Bremervörde aus wie viele andere. Doch es ist ein besonderes Gefängnis – es ist eine von drei Justizvollzugsanstalten in Deutschland, in denen privates Personal im Einsatz ist. Während die Frau an der Pforte eine Uniform trägt, die sie als staatliche Bedienstete erkennbar macht, übernimmt ab der ersten Sicherheitstür ein stämmiger, freundlich dreinblickender Mann die Eskorte. „HECTAS“ steht auf seinem Hemdsärmel. Die Firma ist einer der privaten Dienstleister in Bremervörde. Sie übernehmen Besucher- und Gefangeneneskorten, organisieren die Gefangenenarbeit, reinigen die Gebäude, bereiten das Essen zu und verteilen es.
„Ein Projekt wie dieses ist anspruchsvoll und bedarf erheblicher Planung und Aufsicht“, sagt Anstaltsleiter Arne Wieben. Er ist 1,90 Meter groß, hat eine direkte Art und ist ehemaliger Staatsanwalt und Fallschirmjäger. „Jeder einzelne der 185 Arbeitsprozesse wird ständig überprüft“, sagt Wieben, „jeder Arbeitsschritt ist zugewiesen – wir sind ein kleines, eingespieltes Team.“ Nur so könne die Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft in einem Gefängnis funktionieren.
Ursprünglich war allein der Staat zuständig für den Strafvollzug. Diese Aufgabenverteilung änderte sich allerdings, als die Gefangenenzahlen in den 90er Jahren in die Höhe schossen. 1992 waren etwa 55.000 Sträflinge unterzubringen, 1997 benötigte man schon Platz für fast 75.000 Gefangene. Überbelegung allerorten, es häuften sich Fluchtversuche und gewalttätige Übergriffe auf Wärter. Neue Knäste mussten her, und das in Zeiten leerer Kassen. So kamen private Investoren ins Spiel. Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) sollten für mehr Effizienz sorgen. Die Investoren stellen Kapital bereit und bauen die Gefängnisse, der Staat stottert das Geld ab und spart Geld, indem er privates Personal unter die Beamten mischt.
Undurchschaubares Geflecht
Doch der Plan ging nicht auf. Tatsächlich wurde es bei fast allen Projektmodellen teurer für den Staat. Den Anfang machte Mecklenburg-Vorpommern. 1996 eröffnete dort die JVA Waldeck unweit von Rostock ihre Pforten. Innerhalb von zwei Jahren stampfte eine Firma das Gefängnis aus dem Boden. Ein Leasing-Vertrag über 30 Jahre regelte die Zahlungen: Sieben Millionen D-Mark, heute etwa 3,5 Millionen Euro, sollte das Land jährlich den Bauherren überweisen, dann sollte das Gefängnis in das Eigentum des Landes übergehen. Geblieben sind von diesem Deal:
– Ein nahezu undurchschaubares Vertragsgeflecht, das seit Jahren Gegenstand von parlamentarischen Debatten ist.– Strafrechtliche Ermittlungen, da die Investoren einen hochrangigen Finanzbeamten bestochen haben sollen. Ermittler vermuten: Die Schmiergelder könnten in die Baukostenkalkulation eingeflossen sein. – Eine jährliche Miete, die laut Finanzministerium rund 4,15 Millionen Euro beträgt, fast 16 Prozent mehr als geplant.
Wie viel Geld das Land 2026 bezahlt haben wird, wenn der Leasing-Vertrag endet, ist heute völlig unklar. Vom Schweriner Abgeordneten Johannes Saalfeld (Bündnisgrüne) gibt es eine Schätzung: „Vermutlich wird die Staatskasse 150 Millionen Euro, vielleicht sogar 200 Millionen Euro für dieses Gefängnis bezahlt haben. Die Errichtung hat gerade einmal 55 Millionen Euro gekostet.“ Ein beträchtlicher Schaden.
Einen Schritt weiter als Mecklenburg-Vorpommern ging das Land Hessen. Die dortige Landesregierung beschloss 1999, die neu zu bauende JVA Hünfeld teilzuprivatisieren. Das Gefängnis war das erste in Deutschland, bei dem nicht nur der Bau von Investoren finanziert wurde, sondern auch der Betrieb in Teilbereichen an ebendiese Privaten ausgelagert wurde. Das Konzept sei „ein Meilenstein in der Geschichte des Strafvollzugs“, sagte der damalige Justizminister Christean Wagner (CDU).
Die Planer gingen von Einsparungen in Höhe von 15 Prozent aus – etwa 660.000 Euro jährlich. 2005 eröffnete die JVA. Vertragspartner wurde die deutsche Niederlassung der englischen Serco Group plc. Sie baute das Gefängnis nicht nur, sie übernahm auch rund 40 Prozent der alltäglichen Aufgaben: Gefangenenarbeit und Ausbildung, Gebäudereinigung und vieles Weitere.
Die Verantwortung für die Sicherheit trug weiterhin der Staat. Der Landesrechnungshof stellte 2010 erhebliche Mängel im Vertragscontrolling fest: Beispielsweise galten Gefangene, die aufgrund mangelnder Aufträge aus der Privatwirtschaft nicht arbeiten konnten, als „beschäftigt“. Medizinisches Personal wurde zu Zeiten eingesetzt, in denen Gefangene überhaupt nicht die Möglichkeit hatten, es in Anspruch zu nehmen. „In den untersuchten Leistungsbereichen sind vermeidbare Mehrkosten in Höhe von 1,6 Mio. Euro entstanden“, heißt es im Bericht der Prüfer. Sie empfahlen, den Vertrag zu ändern.
Das Justizministerium schloss 2013 einen neuen Betreibervertrag mit der steep GmbH. Dahinter steckt die ehemalige deutsche Niederlassung der Serco Group plc, die sich ein Jahr zuvor von der englischen Mutterfirma lossagte. Insgesamt 4,8 Millionen Euro wollte das Land nun jährlich überweisen. Aber dieses Ziel wird erneut nicht erreicht.
Laut Justizministerium überweist das Land tatsächlich jährlich 5,55 Millionen Euro an das Unternehmen. Die geplante Ersparnis – komplett dahin. Die Vorsitzende der Strafvollzugs-Gewerkschaft BSBD in Hessen, Birgit Kannegießer, geht davon aus, dass dem Land weitere Kosten entstanden sind – wegen etlicher Bauschäden. Das hessische Justizministerium wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern. In Hessen geht der Schaden, der dem Staat durch die privaten Betreiber entstanden ist, vermutlich in die Millionen.
Das Land Baden-Württemberg plante Anfang der nuller Jahre eine neue Haftanstalt in Offenburg, von privaten Investoren gebaut und teilweise betrieben. Zehn bis 15 Prozent der Kosten sollten eingespart werden. 2009 ging die JVA Offenburg in Betrieb. Doch schon während der Ausschreibung zeigte sich: Die Prognose war nicht zu halten. Sowohl die Infrastruktur in den Arbeitsbetrieben als auch die Qualifikation des Personals wurde teurer als geplant. Plötzlich sollten nur noch 3,84 Prozent der Kosten eingespart werden, laut einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des Justizministeriums. Doch selbst diese Einsparung verpuffte, deckte der Rechnungshof 2013 auf. Schritt für Schritt musste mehr staatliches Personal eingestellt werden. Der Betrieb kostete über die fünfjährige Laufzeit schließlich rund 500.000 Euro mehr als eine JVA komplett in staatlicher Hand.
Geplatzte Träume
Da war die Angelegenheit in Baden-Württemberg längst ein Politikum. Den Vertrag mit den privaten Investoren hatte einst die schwarz-gelbe Mehrheit beschlossen. 2011 änderten sich die Machtverhältnisse in Stuttgart. Prompt kündigte die rot-grüne Landesregierung den Vertrag. Seit Mai 2014 ist der Knast in Offenburg wieder komplett staatlich, der Schaden hält sich – auch wegen der kurzen Vertragszeit – in Grenzen.
In Sachsen-Anhalt war man ebenfalls auf den ÖPP-Zug aufgesprungen. Die JVA Hünfeld war gerade eröffnet, da machte sich die CDU-geführte Landesregierung an die Teilprivatisierung einer Haftanstalt im Städtchen Burg bei Magdeburg. Erwartete Ersparnis über 25 Jahre: optimistische 41,6 Millionen Euro, mehr als ein Zehntel der Investitionssumme. 2009 eröffnete das Gefängnis. Doch einmal mehr ließ der Landesrechnungshof die Träume platzen. Er bemängelte, dass in den ersten drei Jahren die Ausgaben die ursprünglichen Prognosen um jeweils mehrere hunderttausend Euro überstiegen hatten. Sollte die Tendenz anhalten, sei bis Vertragsende ein Fehlbetrag in Höhe von 24,3 Millionen Euro wahrscheinlich. In diesem Fall würde das Land nur noch 17,3 Millionen statt 41,6 Millionen Euro sparen. Doch die Kosten könnten weiter steigen. Der Rechnungshof stellte fest: Bei voller Auslastung der Anstalt sei zu wenig Personal eingeplant, mögliche zusätzliche Kosten: 4,95 Millionen Euro pro Jahr. Ende 2014 waren in Burg laut Auskunft des Justizministeriums 632 Häftlinge untergebracht – bei 681 Haftplätzen. In der Praxis gelten Gefängnisse ab 90 Prozent Belegung als voll ausgelastet.
Das jüngste teilprivatisierte Gefängnis steht im niedersächsischen Bremervörde, Es sollte ein Prestigeprojekt werden – und dann änderten sich auch in Hannover die politischen Mehrheiten. CDU und FDP wurden 2013 abgewählt, die neue rot-grüne Landesregierung würde am liebsten aus der Teilprivatisierung aussteigen. „Der Strafvollzug gehört in ausschließlich hoheitliche Hände“, so Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz. „Aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ist die Entscheidung der Vorgängerregierung zweifelhaft.“
Seit Anfang 2014 ist die JVA in Betrieb. Insgesamt 9,56 Millionen Euro überweist die öffentliche Hand derzeit jährlich an die einzelnen Vertragspartner. Über 25 Jahre beziffert das Justizministerium die Einsparungen auf 5,01 Prozent, und bislang scheint alles nach Plan zu laufen – bei diesem als einzigem der vier Modellprojekte.
Holger Mühlenkamp, der an der Uni Speyer seit Jahren zu ÖPP-Projekten forscht, mahnt: Mithilfe dieses Modells könne auch die Schuldenbremse umgangen werden. Es sei durchaus möglich, Verträge so zu gestalten, dass finanzielle Verpflichtungen nicht als Schulden ausgewiesen werden müssten. Sein Fazit: „In der Tendenz wird die Wirtschaftlichkeit dieser Kooperationen überschätzt.“ Das bestätigt auch diese Recherche. Bislang hat der Staat in Deutschland draufgezahlt.
Das Correctiv-Recherchebüro wird mit Spenden und Zuwendungen von Stiftungen finanziert. Jonas Mueller-Töwe hat das Thema in monatelanger Arbeit recherchiert. Er wurde durch Crowdfunding unterstützt, der Text erscheint ungekürzt auf www.correctiv.org
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