Aus zweiter Hand

Dandy Kunstfigur im Kunstbetrieb: Der britische Wahl-Exzentriker Sebastian Horsley hat eine nicht sehr überzeugende Autobiografie geschrieben: "Dandy in der Unterwelt"

Ein bisschen mehr als die berüchtigten fünf Minuten Ruhm waren Sebastian Horsley schon vergönnt, als das selbst ernannte Enfant terrible der englischen Kunstszene im August des Jahres 2000 auf die Philippinen flog, um sich in einem kleinen Dorf in der Nähe Manilas kreuzigen zu lassen. Diesem bizarren Ritus unterziehen sich dort jährlich zu Karfreitag, beobachtet von den Kameras der internationalen Medien, einige besonders bußfertige Angehörige der heimischen Bevölkerung. Auch Horsley wurde bei seiner Aktion, die übrigens misslang, weil die Plattform, auf der er stand, abbrach, nachdem man das Kreuz aufgerichtet hatte, gefilmt, und zwar von der für ihre Installationen berühmten Künstlerin Sarah Lucas.

Wer möchte, kann sich den Streifen bei Youtube herunterladen. Dem Rezensenten stand der Sinn weniger nach einer Kunsterfahrung dieser Art, hatte ihn doch Horsleys vor zwei Jahren in Großbritannien erschienene und jetzt in einer wenig eleganten deutschen Übersetzung vorliegende Autobiografie bereits über Gebühr in Anspruch genommen.

Auch ein zweiter im Internet verfügbarer Film, in dem der 1962 als Sohn ebenso wohlhabender wie exzentrischer Eltern geborene Spät-Ästhetizist die Vorzüge der Prostitution preist, vermag, obwohl sich der Hauptdarsteller in gediegenem Englisch zu artikulieren versteht, nicht wirklich zu fesseln. Denn Sebastian Horsley, und das ist die wirklich schockierende Erkenntnis nach der Lektüre von mehr als 400 Seiten Selbstdarstellung, ist ein Langweiler.
Dandy in der Unterwelt: Eine unautorisierte Autobiographie">Dandy in der Unterwelt lautet der Titel des Buches, mit dem der Autor einerseits seinem Idol Marc Bolan und dessen letzter Platte mit der Band T. Rex, Dandy in the Underworld (1977), die Reverenz erweist, andererseits aber wohl auch auf den Roman Hero of the Underworld (Schlachtplan, 2000) des Bildhauers und Schriftstellers Jimmy Boyle anspielt, dem er in einer Art Hassliebe verbunden scheint.

Boyle ist eine schillernde Figur des Kunstbetriebs. Der ehemalige Gangster, einst als gewalttätigster Mann in Schottland berüchtigt, wird 1967 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis entdeckt er, gefördert durch ein ambitioniertes Resozialisierungsprogramm, sein Interesse für Kunst und verfasst eine viel beachtete Autobiographie.
Mit der vorzeitigen Entlassung aus der Haft beginnt Boyles ebenso imposante wie lukrative Künstlerkarriere, in deren ersten Jahren einer nicht von seiner Seite zu weichen scheint: Sebastian Horsley, der mit einer Flasche Jahrgangschampagner vor dem Gefängnistor steht. Für den Sprössling einer zwar desolaten, aber dennoch ausgesprochen privilegierten Familie der oberen Mittelschicht, ist die Bekanntschaft mit dem in den Slums von Glasgow aufgewachsenen Boyle in hohem Maße reizvoll. „Ich hatte schon immer die Neigung gehabt, entweder ein Gesetzloser oder ein Künstler zu sein“, brüstet sich Horsley, dessen kriminelle Aktivitäten sich zu diesem Zeitpunkt darauf beschränken, Drogen zu konsumieren und Rechnungen schuldig zu bleiben.

Auch die Kunst zeigt sich seinen Avancen gegenüber eher stachelig, Versuche als Punkrocker zu reüssieren, scheitern kläglich. Da ist ein Kerl wie Boyle die Rettung: „Jimmy war mein Mann. Mit einem herzzerreißenden Schrei voller Todesqual und Ekstase warf ich mich ihm zu Füßen, um errettet zu werden.“

Und das nicht ohne einen gewissen Erfolg, was Horsleys eigene Prominenz angeht. Der Rummel, den die britischen Medien zum Erscheinen seiner Autobiographie veranstalteten, verdankt sich nämlich hauptsächlich den detaillierten Schilderungen der erotischen Dimension seiner Beziehung zu Boyle, dessen psychopathologische Züge Horsley beinahe so liebevoll ausmalt wie seine eigenen Schwächen. Denn wer ein großes Ego besitzt, neigt nicht selten auch in der Selbstkritik zur Maßlosigkeit. „Als ich die lächerlichen Affektiertheiten der Jugend ablegte“, schließt der Autor diesen Teil seiner Biographie ab, „schaffte ich damit Platz für die monströsen Posen des mittleren Lebensabschnitts“. Nämlich für seine neue Identität als Dandy mit Wohnsitz im Londoner Nobelviertel Mayfair, von der er bis heute nicht lassen mag.

„Wahres Dandytum ist rebellisch“, behauptet Horsley keck. „Es ist kein Satz Kleidungsstücke, die von alleine herumlaufen.“ Was natürlich nicht bedeutet, dass ihm sein Erscheinungsbild gleichgültig wäre. Es könnte ja sein, dass einen niemand bemerkt. Also legt er sich doch eine möglichst ausgefallene Garderobe als Markenzeichen zu. Schließlich muss ein „Mann, der kein Talent hat, einen Schneider haben“, wie eines der vielen ausgelutschten Bonmots, mit denen diese Lebensbeichte aus zweiter Hand aufwartet, lautet.
Was nämlich die Lektüre von Dandy in der Unterwelt zu einer ausgesprochen öden Angelegenheit werden lässt, ist nicht zuletzt das Gefühl, all diese Erzählungen von Drogen, Geld und Sex schon einmal, besser formuliert, gelesen zu haben. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob das, was hier zum Besten gegeben wird, auf tatsächlichen Begebenheiten beruht oder der durch einschlägige Vorbilder angeregten Phantasie des Autors entspringt.

Mangelnde Originalität ist kein Vorwurf, mit dem einem selbststilisierten Kunstprodukt wie Sebastian Horsley beizukommen wäre. Schließlich sei Dandytum „die Lüge, die die Wahrheit ans Licht bringt, und die Wahrheit ist, dass wir sind, was wir vorgeben zu sein“.

Und vielleicht ist ja sogar etwas dran an dieser Sentenz. Horsley gibt vor, interessant zu sein, und die Medien seiner Heimat nehmen es ihm ab. Ob ihm dieses Kunststück auch hierzulande gelingen wird, scheint allerdings fraglich, denn der bereits im englischen Original recht angestrengt wirkenden Wortwitz des Autors verwandelt sich in der Hand des Österreichers Andreas Leopold Hofbauer in ein gestelztes Deutsch, das die Belanglosigkeit des Textinhalts kaum mehr zu camouflieren vermag. Da fallen die offenkundigen Übersetzungsfehler – Hofbauer weiß zum Beispiel nicht, dass man mit einer O-Levelprüfung die mittlere Reife erwirbt, aber kein „Grundstudium“ absolviert – kaum noch ins Gewicht.


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