Die Steigerung der Gewalt

Antizionismus Wolfgang Kraushaars neueste Recherchen über die"Bombe im Jüdischen Gemeindehaus"

Geschichtsschreibung kann weh tun. Diese Erfahrung bleibt auch den Veteranen der Außerparlamentarischen Opposition nicht erspart. Während es noch verhältnismäßig leicht fällt, eine schrille 68er Satire wie Sophie Dannenbergs Roman Das bleiche Herz der Revolution (Freitag 4/05) als hysterische Übertreibung abzutun, stoßen die Publikationen Wolfgang Kraushaars, der für das Hamburger Institut für Sozialforschung die Geschichte der Protestbewegungen in der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR untersucht, auf energische Abwehr.

Als "Frechheit und Gemeinheit" empfindet beispielsweise der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit allein den Titel des Buches Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF, in dem die Namen des halbkriminellen Bohèmiens und späteren Terroristen und des charismatischen "Studentenführers" und Grünen-Mitbegründers nicht einmal durch ein Komma getrennt sind. In seinem Aufsatz Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf versucht Kraushaar nämlich nachzuweisen, dass der spätere Öko-Pazifist in den sechziger Jahren Gewalt als Mittel der Politik keineswegs ausschloss. Schwer ist das nicht, wenn man Äußerungen Dutschkes wie "Natürlich bin ich bereit, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen" ernst nimmt. Für Theweleit erledigt sich die Relevanz solcher Zitate schon, wenn man sie im Zusammenhang damaliger politischer Überzeugungen sieht: "Es fehlt ein entscheidender Begriff in der heutigen Diskussion, jener der gespaltenen, oder wenn man böse sein will, schizophrenen Argumentation. Alle im SDS sammelten Geld für Waffen für den Vietcong. Für die kubanische Revolution. Für Aufstände gegen die von den Amerikanern unterstützten Militärregimes. Antikolonialer Befreiungskampf mit Waffen war überhaupt keine Frage. Das Recht zur bewaffneten Gegenwehr wurde nicht angezweifelt." (taz 2. 7. 2005)

Hierzulande hingegen war, folgt man dem Freiburger Zeitzeugen, höchstens symbolische Gewalt gegen Sachen akzeptabel, zum Beispiel die Scheiben des Amerika-Hauses einzuwerfen. Theweleit selbst hielt sich, obschon ein prinzipieller Befürworter der Aktion, heraus, denn er war gleichzeitig "ein Freund des Amerika-Hauses": "Ich bezog da Zeitschriften, Bücher, Platten. Ich wusste, dass die Leute völlig in Ordnung waren." Dass man dennoch ganz ernsthaft die Schriften der Tupamaro-Guerilla aus Uruguay diskutierte, um letztendlich die Idee, im Schwarzwald eine vergleichbare Untergrundtruppe aufzuziehen, aus pragmatischen Gründen zu verwerfen, erscheint in diesem Kontext kaum noch als Widerspruch. Vor allem, wenn man es, wie bei Theweleit, weitgehend unreflektiert von einem damaligen Aktivisten erzählt bekommt.

Andererseits ist zu einer Zeit, in der sich das Programm einer neuen "Linkspartei" darin erschöpft, die Einnahmen und Vermögen der "Reichen" in Deutschland ordentlich zu besteuern, allein die Tatsache, dass sich der linke Mainstream mit den Möglichkeiten des Guerilla-Kampfes in Westeuropa beschäftigte, für ein Staunen gut. Aber dies ist nicht der Hauptgrund, weshalb Wolfgang Kraushaar ein Kapitel seines neuen Buches Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus der 18. Ausgabe des von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Kursbuchs vom Oktober 1969 widmet, der ein "Kursbogen" im Posterformat beilag, auf dem im Stil einer Boulevardzeitung der Kampf der Tupamaros propagiert und dessen "strategische Bedeutung auch für Europa" diskutiert wurde.

Denn ein nicht unerheblicher Teil der Neuen Linken fühlte sich von den lateinamerikanischen Vorbildern auch praktisch inspiriert. Und den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Anschlägen, die im Spätherbst und Winter 1969 in Westberlin verübt wurden, bildete jener Sprengsatz, der am 9. November des Jahres während einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938 explodieren sollte. Dazu kam es glücklicherweise nicht, da die Bombe aus Gründen, die bis heute ungeklärt sind, nicht zündete.

Für Kraushaar markiert der Anschlag einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der bundesrepublikanischen Linken nach dem Scheitern der Außerparlamentarischen Opposition. "Ganz offensichtlich war ein Kern aus der Zerfallsmasse der 68er-Bewegung dazu übergegangen, neue Formen einer gewaltsamen Eskalationsstrategie auszuprobieren. Allem Anschein nach sollte nach dem Scheitern der innenpolitischen Zielsetzungen - wie der Verhinderung der Notstandsgesetzgebung - nun versucht werden, dieses durch eine Steigerung der Gewaltmittel und neue Angriffsobjekte, darunter vor allem jüdische und israelische Einrichtungen, zu kompensieren."

Die Abkehr der westdeutschen Linken von einer prinzipiellen Israelfreundlichkeit setzt bereits 1967 mit dem Sechstagekrieg ein. Zur Rechtfertigung einer zunehmend auch antisemitisch sich gebärdenden "Zionismuskritik" wird nicht selten die publizistische Unterstützung Israels durch die Zeitungen des Springer-Konzerns genannt, während die Sympathie für die in jordanischen Lagern eingepferchten palästinensischen Flüchtlinge wächst. Deren Schicksal mit dem der von Nazideutschland verfolgten und ermordeten Juden gleichzusetzen, wird zur gängigen rhetorischen Figur. "Einige dieser Lager sind wie KZ. Wenn man ´raus will, braucht man einen Ausweis. Und wenn man wieder herein will, braucht man noch einen Extraausweis", wird ein "arabischer Intellektueller" in einer großen Reportage zitiert, die konkret im März 1969 dem "arabischen Vietcong", das heißt, Yassir Arafats militanter Fatah-Bewegung, widmet. Ebenfalls in konkret empfindet der Schriftsteller Yaak Karsunke angesichts eines Fotos ägyptischer Kriegsgefangener, die von israelischen Soldaten gezwungen werden, ihre Schuhe auszuziehen, "eine makabre Ähnlichkeit mit jenen Schuhbergen, die etwa in Auschwitz an die Zeiten deutscher Herrschaft erinnern..." (konkret Nr. 18, August 1969)

Und während Jean Amérys Intervention Der ehrbare Antisemitismus im Juli des gleichen Jahres ohne größere Resonanz verhallt, werden im Westberliner Untergrund noch schärfere Töne laut. Dieter Kunzelmann, einer der schillerndsten Protagonisten der antiautoritären Bewegung, fordert in einem "Brief aus Amman" die deutsche Linke auf, endlich ihren "Judenknax" zu überwinden und den Staat Israel als Wiedergänger Nazideutschlands zu begreifen. Veröffentlicht wird der Text in dem Anarchoblatt Agit 883 am 27.11.1969, laut Kraushaar möglicherweise ein Versuch, jeden Verdacht in Hinsicht auf den Anschlag vom 9. November von sich zu weisen, obwohl ein 14 Tage zuvor verbreitetes Bekenner-Flugblatt denselben Ton anschlägt. Gelegt wird die (vom Verfassungsschutz-Spitzel Peter Urbach gelieferte) Bombe tatsächlich nicht von Kunzelmann, sondern von Albert Fichter. Der Architekturstudent gehört zu den von Kunzelmann gegründeten "Tupamaros Westberlin", vormals "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen". Der alte Name ist allerdings noch immer Programm: zur Revolution gehört offenbar der Konsum von Drogen in beträchtlichem Ausmaß. Auch Fichter scheint durch die exzessive Einnahme von LSD zeitweise sein Realitätsbewusstsein abhanden gekommen zu sein. Als er die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus legt, ist er von ihrer relativen Harmlosigkeit überzeugt. "Wenn sie hochgegangen wäre", gibt der heute Sechzigjährige, der seine Tat bitter bereut, in einem Gespräch mit Kraushaar zu Protokoll, "dann hätte das ein Feuerwerk ergeben, mehr aber nicht." Geplant habe den Anschlag Kunzelmann, der übrigens in seiner Autobiographie seine Unwissenheit beteuert, zumal sich eine solche Aktion angesichts der deutschen Vergangenheit von selbst verbiete. Ein Satz, der sich wohl aus dem Umstand erklärt, dass sich die Gruppe durch ihre Aktionen und Statements auch innerhalb der "antizionistischen" Linken isoliert hatte.

Nicht genug allerdings um die nachträgliche Ikonisierung ihrer Mitglieder zu verhindern. So werden die von Polizisten erschossenen Tupamaros Georg von Rauch und Thomas Weisbecker bis heute als Märtyrer des bewaffneten Kampfes verehrt, Michael "Bommi" Baumann gelangt Mitte der siebziger Jahre durch seinen autobiographischen Bericht Wie alles anfängt zu Ruhm, während der zynische Manipulator Dieter Kunzelmann einen Ruf als unkonventioneller Spaßmacher dadaistischer Prägung genießt. An eine Annekatrin Bruhn allerdings, die 1969 mit 19 nach Berlin kommt und, obwohl völlig unpolitisch, durch Zufall in den Bann Kunzelmanns und seiner Gruppe gerät, was sie beinahe ihr Leben kostet, muss Kraushaar erinnern. Dies ist nicht das geringste Verdienst seines Buches, das neben Gerd Koenens Vesper Ensslin Baader einen der wichtigsten Beiträge zur Entmythologisierung einer mythenträchtigen Zeit darstellt.

Wolfgang Kraushaar u.a.: Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF. Hamburger Edition, Hamburg 2005, 143 S., 12 EUR

Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus. Hamburger Edition, Hamburg 2005, 300 S., 20 EUR


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