Beginnen wir mit einer kleinen Kriminalstatistik: Ein bewaffneter Raub, ein Fall von schwerer Körperverletzung, drei Auftragsmorde. Acht Seiten braucht unser Autor für die Schilderung des Überfalls, und auf neun Seiten beschreibt er mit schmerzhafter Genauigkeit, wie einem Mann beinahe sämtliche Knochen im Leib gebrochen werden. Erheblich weniger Platz ist vonnöten, um die geschäftsmäßige Tötung dreier Menschen zu beschreiben.
Zweimal fünf und einmal zehn Zeilen nämlich verwendet George V. Higgins darauf, den professionellen Killer Jackie Cogan bei seiner eigentlichen Arbeit zu zeigen. Ansonsten wird geredet. Und das ausgiebig. Mit mehr als 200 Seiten Dialog ist Ich töte lieber sanft (Originaltitel: Cogan’s Trade), Higgins
17;s Trade), Higgins’ klassischer Gangsterroman von 1974, der jetzt erstmals auf Deutsch vorliegt, ein Monument grandioser Geschwätzigkeit. Zum Beispiel Russell, der Hundedieb. In Vietnam hat er mit Heroin angefangen, gesessen hat er auch schon, aber der Traum von der großen Karriere im Drogengeschäft treibt ihn noch immer um. Doch vorerst klaut er Rassehunde. Wer sich dafür interessiert, wie man sechzehn Rauhaardackel, Spaniel und Labradore in einem Cadillac transportiert, kann es sich von Russell detailliert erklären lassen. Sein Knastkumpel Frankie jedenfalls muss ihm zuhören, ob er will oder nicht, und revanchiert sich mit ausgiebigen Schilderungen der Höhen und Tiefen seines Sexuallebens. Das kommt Ihnen bekannt vor? Genau, der tolle Film Killing them Softly (2012) mit Brad Pitt in der Hauptrolle basierte auf Cogan’s Trade.Die beiden hält ein Job zusammen. Im Auftrag des spielsüchtigen Fahrschulbetreiber Johnny „Squirrel“ Amato – auch ihn hat Frankie im Gefängnis kennengelernt – rauben sie eine illegale Pokerrunde aus. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht. Allerdings steckte bei der Premiere der Veranstalter selbst dahinter. Also fällt auch jetzt der Verdacht auf ihn. Und da solche Aktionen schlecht fürs Geschäft sind, wird an höherer Stelle beschlossen, sich seiner zu entledigen. Nur durch Zufall – Russell quatscht einfach zu viel mit den falschen Leuten – kommt man Amato und seinen Helfern auf die Spur. Also hat Jackie Cogan reichlich zu tun, nicht zuletzt, da sein Kollege Mitch alkoholbedingt ausfällt.George V. Higgins (1939 – 1999) war auch ein erfolgreicher Jurist. Zunächst arbeitete er als Staatsanwalt. Dann wurde er Strafverteidiger und vertrat prominente Linke wie den „Black Panther“-Chef Eldridge Cleaver vor Gericht. Zu seinen Klienten gehörte allerdings auch ein Mann wie George Gordon Liddy, der als Gefolgsmann Richard Nixons die Einbrüche in das Hauptquartier der Demokraten – besser bekannt als „Watergate-Affäre“ – mitorganisiert hatte. Dass sich Higgins also auch bestens mit den kriminellen Tendenzen der besseren Kreise auskannte, zeigt unter anderem sein (bislang unübersetzter) Roman Wonderful Years, Wonderful Years (1988).Balzac der Bostoner UnterweltAllerdings waren es eher seine Exkursionen in das Reich der kleinen Schurken, die ihm den Ruf eines „Balzacs der Bostoner Unterwelt“ eintrugen. Bereits sein 1970 erschienener Debütroman Die Freunde von Eddie Coyle verblüffte durch einen ganz auf Dialogen basierenden Erzählstil, der zu Higgins Markenzeichen werden sollte. Der Anfangssatz - „Jackie Brown war sechsundzwanzig und verzog keine Miene, als er sagte, er könne ein paar Waffen besorgen“ – beeindruckte einen anderen großen amerikanischen Erzähler namens Elmore Leonard so sehr, dass er das Buch in einem Rutsch durchlas. „Es war wie eine Befreiung. Also so musste man es machen“, kommentierte Leonard seine Lektüreerfahrung später. 1973 folgte The Digger’s Game und ein Jahr später Cogan’s Trade, Romane, die sich weniger durch ein sympathieträchtiges Personal als durch einen ziemlich krassen – und nicht selten recht komischen – Naturalismus auszeichneten. Es wundert also wenig, dass die ersten Manuskripte des jungen Standford-Absolventen nicht auf die spontane Gegenliebe der Verlage stießen. Insgesamt zehn Romane sollen vor dem Erfolg von Eddie Coyle in der berüchtigten Schublade verschwunden sein.Tatsächlich sind Higgins’ Romane keine leichte Lektüre. Zwar zeichnen sich ihre Plots nicht durch übergroße Komplexität aus, doch manchmal erfordert es einige Konzentration, unter all den Gesprächen über Hunde, Krankheiten und Sex den Handlungsfaden wiederzufinden, zumal sich die Figuren eines Slangs bedienen, der die New York Times beim ersten Erscheinen des Romans dazu veranlasste, ihren Lesern ein entsprechendes Wörterbuch zu empfehlen. Umso bewundernswerter ist die Leistung von Dirk van Gunsteren, der sowohl Cogan’s Trade als auch The Friends of Eddie Coyle in ein weitgehend authentisch wirkendes Ganovendeutsch übersetzt hat.George V. Higgins sah sich nicht als Genreautor. Dass Rezensenten seine Bücher ins Krimifach packten, gefiel ihm gar nicht. Er schreibe eben über Leute, gab er einmal zu Protokoll, „von denen einige die Neigung haben, das Gesetz zu brechen“. Und, darf man hinzufügen, für die diese Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, so normal ist wie für andere Zeitgenossen der Job im Büro oder am Fließband. Tatsächlich hat Higgins’ milieugesättigte Erzählprosa nichts mit den Durchschnittsthrillern vom Stapel gemeinsam. Was wir hier zu lesen bekommen, ist nichts weniger als große realistische Literatur.