Ins gemachte Bett

Schickeria Verführerische Mischung - Bettina Röhl öffnet die "Akte Konkret"

Das Cover des Konkret-Heftes vom Januar 1965 ist ein typisches Dokument jener verführerischen Mischung von Sex und Politik, die der linken Monatszeitschrift in den folgenden Jahren Auflagen bis zu mehreren hunderttausend Exemplaren bescheren und ihren Gründer und Herausgeber Klaus Rainer Röhl zum wohlhabenden Mann machen sollte. "Striptease und Mathematik" verheißt ein Artikel über Schülerliebe, der Panorama-Journalist Lutz Lehmann warnt vor der "politischen Justiz" und ein "ungekürzter" Auszug aus dem schwedischen Roman 491 verspricht Skandalöses. Beklemmend aktuell scheint ein Dokumentarbericht mit der reißerischen Überschrift Schwarze Hölle Kongo. Einen Vorgeschmack auf jene Aktfotos, für die Konkret einige Jahre später berühmt-berüchtigt werden sollte, gibt die Rückenansicht einer unbekleideten Frau im Miniformat.

Gerade hat die Zeitschrift eine ihrer größten Krisen mit Bravour überwunden. Im Juni des Vorjahres nämlich haben sich die bisherigen Finanziers des Blattes enttäuscht zurückgezogen. Beinahe ein Jahrzehnt hatten Funktionäre der illegalen KPD im Auftrag der DDR-Führung Konkret beziehungsweise die Vorgängerzeitschrift Studentenkurier mit Beträgen von bis zu 40.000 Mark jährlich unterstützt. Der Beschluss dazu war auf einer Tagung des FDJ-Zentralrats am 6. April 1955 gefallen, das Protokoll führte der spätere DKP-Vorsitzende Herbert Mies: "Die Zeitung muss Organ der antimilitaristischen und nationalen Strömungen werden, sie leiten, bewusster machen und zusammenführen. Die Zeitung muss an die vorhandenen Strömungen anknüpfen. Andernfalls wird sie sofort neben der Studentenschaft stehen, keinen Einfluss mehr ausüben und isoliert sein."

Diese Aufgabe hatten Röhl als Herausgeber und seine spätere Frau Ulrike Meinhof als Chefredakteurin, die beiden waren seit einiger Zeit selbst Mitglieder der verbotenen Kommunistischen Partei, eigentlich brillant gelöst. Als aber in den frühen sechziger Jahren zunehmend Artikel erscheinen, die in Ostberlin Zweifel aufkommen ließen, ob die hart erworbenen West-Devisen wirklich sinnvoll ausgegeben werden, beginnt es in der Beziehung zu kriseln. Man ist ebenso wenig erbaut von enthusiastischen Berichten über die kubanische Revolution und den damals eher misstrauisch beäugten Fidel Castro wie von den Eindrücken, die Röhl von einer Reise durch die DDR mitbringt "In den spärlich erleuchteten Auslagen angestaubte Textilien, lustlos dekoriert, wenige Sorten Gemüse, vergilbte Packungen mit Teigwaren." Und als Disziplinierungsversuche nichts fruchten, drehte "Pankow", wie es zu jener Zeit in der westdeutschen Presse gerne heißt, kurzerhand den Geldhahn zu.

Nicht gerechnet haben die braven Funktionäre offenbar mit dem "Jetzt erst recht"-Geist des umtriebigen Röhl. Der nämlich entscheidet sich, die Zeitschrift unabhängig weiterzuführen. Und das Kunststück gelingt. Anzeigen, Spenden, im Voraus bezahlte Abonnements und nicht zu vergessen die kräftige Unterstützung des Großverlegers John Jahr lassen Konkret nach nur einem Monat Pause wieder auferstehen.

Nachlesen konnte man dieses spannende Kapitel deutscher Mediengeschichte bereits vor über 30 Jahren in Klaus Rainer Röhls Erinnerungsbuch Fünf Finger sind keine Faust von 1998. So richtig wissen wollte damals allerdings kaum jemand, was die westdeutsche Linke den Propagandaträumen der DDR-Führung zu verdanken hatte. Und seine Geschäftstüchtigkeit und Unternehmungslust wurden Röhl eher übelgenommen. Um so höher im Kurs stand seine ehemalige Frau, die als Terroristin inhaftierte Ulrike Meinhof, deren Kolumnen für Konkret bis heute als Musterbeispiele engagierter politischer Publizistik gelten. Röhl hingegen ist, zumal nach seiner ideologischen Wiedergeburt als "Nationalliberaler", so sehr zur Persona non grata geworden, dass an eine sachliche Einschätzung dieses schillernden Charakters bislang kaum zu denken war. Das zu ändern tritt nun ausgerechnet seine Tochter Bettina an. In ihrer voluminösen Chronik So macht Kommunismus Spaß! widmet sich die Journalistin nämlich nicht nur ihrer ebenso heroisierten wie dämonisierten Mutter Ulrike Meinhof, sondern gleichermaßen ihrem Vater, dem genialischen Blattmacher, Puppenspieler und Luftikus Klaus Rainer Röhl.

Um es vorweg zu sagen: Bettina Röhl ist eine manchmal zu ausführliche, vielleicht auch gelegentlich geschwätzige, nichtsdestotrotz aber überaus lesenswerte Darstellung bundesrepublikanischer Geschichte vor dem so genannten Jahr der Revolte 1968 gelungen. Dabei stützt sie sich vor allem auf persönliche Erinnerungen und Interviews mit Zeitzeugen von Marcel Reich-Ranicki über Peter Rühmkorf bis hin zu Manfred Kapluck, jenem KPD-Funktionär, der bis 1964 dafür sorgte, dass bei Konkret das Geld nicht knapp wurde. Als wahre Fundgrube jedoch erweist sich ein Bündel Akten, das die Autorin 1998 im Bundesarchiv in Berlin entdeckte. Sorgfältig ist nämlich die Karriere des Klaus Rainer Röhl als publizistisches U-Boot der KPD von seinen Geldgebern in Ostberlin dokumentiert worden. Hier finden sich beispielsweise Protokolle, Einschätzungen und strategische Überlegungen hinsichtlich der Rolle, die Konkret bei der Organisierung der Proteste gegen die atomare Aufrüstung in der späten fünfziger Jahren spielt. Ab 1960 konzentriert sich die Arbeit auf die Unterstützung der Deutschen Friedensunion, die die zerfallende Anti-Atom-Bewegung neu bündeln und vor allem in den Bundestag bringen soll. Renate Riemeck, die Pflegemutter Ulrike Meinhofs, übernimmt den Vorsitz der neuen Partei, deren Einzug ins Parlament allerdings wohl nicht zuletzt daran scheitert, dass der Gedanke eines neutralen atomwaffenfreien Deutschlands im Westen nach dem Mauerbau 1961 nicht mehr sehr populär ist.

Neben ihren Eltern ist Riemeck übrigens eine der zeitgeschichtlichen Figuren, an denen sich die Autorin geradezu abarbeitet. Als Kind verbringt sie regelmäßig gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester erholsame Wochen bei ihrer "Pflegegroßmutter" und deren Hausgenossin Holde Bischoff. Hier erlebt sie eine Art familiärer Normalität, die sie bei ihren stark beschäftigten und zudem häufig streitenden Eltern in Hamburg vermisst. Dazu trägt vielleicht auch bei, dass sie bis zu ihrem 5. Lebensjahr fest glaubt, die hosentragende Renate Riemeck sei ein Mann. Deren Reaktion auf den eher komischen Irrtum ist übrigens ziemlich heftig und für das kleine Mädchen verletzend. Dass Bettina Röhl die Friedensaktivistin ziemlich kritisch sieht, ist allerdings nicht in dieser Episode begründet. Eine wichtigere Rolle spielt die Weigerung Riemecks, auch 17 Jahre nach dem Fall der Mauer über ihre Beziehungen zur DDR und zur illegalen KPD Auskunft zu geben. Auch die Erklärung, Berichte über stalinistische Verbrechen seien rechte Propagandalügen, trägt nicht gerade zu einem guten Verhältnis der beiden Frauen bei. Bettina Röhl, die sich von einem Manfred Kapluck gern erzählen lässt, wie dieser quasi im Alleingang bundesdeutsche Gewerkschaften unterwandert habe, kann die Haltung Riemecks nur als Verstocktheit deuten.

Dabei wird die Untergrundarbeit der illegalen KPD durchaus mit Sympathie gezeichnet. Viel kritischer sieht die Autorin die "etwas späteren 68er, die sich an der Neuen Linken orientierten". Diese hätten "ein gutes Netz kommunistisch aufgebauter Netzwerke von Bündnispartnern in Verlagen, Zeitschriften, bei Anwälten, Richtern und Strukturen in allen Lebensbereichen" vorgefunden und sich praktisch "ins gemachte Bett gelegt". Und zu diesem Netzwerk gehört die Zeitschrift Konkret auch noch, nachdem sie sich zwangsweise finanziell auf eigene Füße gestellt hat. Hier finden sich die Themen der beginnenden Studentenbewegung, der "Außerparlamentarischen Opposition".

Mit einem offenen Brief an die Schah-Gattin Farah Diba bereitet Ulrike Meinhof die Protestdemonstration vom 2. Juni 1967, bei der der Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten Kurras erschossen wird, publizistisch vor. Konkret agitiert gegen den Vietnamkrieg und bekämpft die Notstandsgesetze. Die Kampagne "Enteignet Springer" findet in Meinhof eine wackere Propagandistin. Und der junge Stefan Aust erkundet in einer großen Reportage den Stand der sexuellen Revolution in der Bundesrepublik: "Sex ohne Ehe - Wie frei sind Deutschlands Mädchen?". Das lässt die Auflage wachsen, und schon bald gehören die Röhls zur Hamburger Medienschickeria. Der Hass, der den revoltierenden Studenten aus der Bild-Zeitung entgegenschlägt, ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Die liberale Öffentlichkeit scheint auf die "kleine deutsche Kulturrevolution" (Gerd Koenen) nur gewartet zu haben. Und Klaus Rainer Röhls Konkret verkörpert all das, was an der Jugendrevolte der Sechziger grandios, aber auch grotesk ist.

Bettina Röhls Buch ist Familienchronik und erzählte Zeitgeschichte zugleich. Damit ist sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche beschrieben. Anrührende Kindheitsszenen wechseln mit Interviewprotokollen, bei denen sich die Autorin vielleicht etwas zu sehr in den Vordergrund spielt. Da hätte man sich ein energischeres Lektorat gewünscht, zumal einige beherzte Kürzungen dem Buch nicht schlecht bekommen wären.

Dennoch, wer sich für die Geschichte der politischen und publizistischen Linken in der alten Bundesrepublik interessiert, kommt an So macht Kommunismus Spaß! nicht vorbei.

Bettina Röhl: So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret. Europäische Verlagsanstalt. Hamburg 2006, 677 S., 29,80 EUR


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