Kurt Halder gegen den Staat

Verfassungsschutz Max Bronski erzählt die Geschichte eines rechten Ideologen
Ausgabe 45/2021
Genüsslich erzählt er Halders Selbstdemontage und dessen Hybris
Genüsslich erzählt er Halders Selbstdemontage und dessen Hybris

Foto: Imago/Panthermedia

Zwei ältere Herren stellen eine Einkaufsliste zusammen: Grillanzünder und Spiritus dürfen nicht fehlen. Kurz zuvor ist bei einem Brandanschlag auf ein Polizeiauto ein Beamter ums Leben gekommen. Wer weiß, dass die beiden Senioren einst im Verdacht standen, aktiv mit der RAF zu sympathisieren, könnte nun hellhörig werden. Im Jahr 1974, als Michael Löwenberg und Fritz Uhlbeck erstmals ins Visier der Terrorfahnder gerieten, musste man sie mangels handfester Beweise wieder laufen lassen. Das soll nicht noch einmal passieren: Verfassungsschutzpräsident Kurt Halder nimmt sich der Sache persönlich an und lässt die beiden überwachen. Denn er ist davon überzeugt, dass die bürgerliche Existenz der ehemals militanten Politaktivisten nur Tarnung ist.

Halder selbst war niemals versucht, an der Legitimität staatlicher Gewalt zu zweifeln. Ebenso, wie es ihm nie in den Sinn gekommen wäre, gegen seinen autoritären Vater, einen kriegsversehrten ehemaligen SS-Offizier und späteren Richter, aufzubegehren. Eine steile Karriere hat ihn bis an die Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz geführt. Zum überzeugten Demokraten ist er dabei nicht geworden – im Gegenteil. Politik bedeutet für ihn Schwäche, ihre gewählten Repräsentanten können seiner Verachtung sicher sein. „Kraft statt schwiemeliger Kompromisse“ scheint ihm die unvermeidliche Lösung für die Probleme einer fragmentierten Gesellschaft zu sein: eine Überzeugung, die sich aus der wiederholten Lektüre von Oswald Spenglers zivilisationskritischem Klassiker Der Untergang des Abendlandes speist. Derart ideologisch gerüstet macht er sich daran, vom Rücksitz seiner Dienstlimousine aus die linksradikale Gefahr zu bekämpfen.

Denn Kurt Halder, den sich der als Max Bronski schreibende Münchner Autor Franz-Maria Sonner als Titelfigur seines neuen Kriminalromans Halder ausgedacht hat, konstruiert sich die Wirklichkeit nach seinem Gusto. Wir begleiten ihn auf der Fahrt von Köln zu einer Sitzung in München und dürfen an seinen Gedanken und Obsessionen teilhaben. So entsteht das Psychogramm eines Mannes, der sich schon frühzeitig einen vertrauten Umgang mit der Macht antrainiert hat. Und er würde sie gerne anwenden, radikal durchgreifen. Doch das darf er nicht: „Man schickte die Büttel aus, ohne sich selbst zu einem wehrhaften Staat bekennen zu wollen.“ Also schweigt auch Halder, verfasst seine „schonungslosen Fehleranalysen“ in Gedanken kurz vor dem Einschlafen und beschränkt sich in der Öffentlichkeit auf Andeutungen an „Geistesverwandte“.

Es ist offensichtlich, dass Autor Max Bronski seine Charaktere nach der Realität modelliert hat. Unschwer lässt sich, auch physiognomisch, ein Vorbild für Halder – „lang gezogener Schädel, dazu die Nickelbrille“ – erkennen. Aber auch eine Figur wie Kommissar Kottke vom LKA-München, der privat beste Beziehungen zum Frontmann einer Nazirockband unterhält, dürfte ebenso wenig ein reines Fantasieprodukt sein wie die Existenz rechtsnationaler Netzwerke im Polizeiapparat. Wie die Terroristenjagd des obersten Verfassungsschützers ausgeht, sollte bei aufmerksamer Lektüre dann keine große Überraschung mehr darstellen. Denn Halder ist weniger Kriminalroman als das treffend formulierte, satirisch übersteigerte Porträt eines autoritären Charakters, dem der Plot auch eine private Enttäuschung bereiten wird. Denn Max Bronski, bekannt durch seine Reihe um den sympathischen Amateurermittler und Trödler Wilhelm Gossec, meint es diesmal nicht gut mit seinem „Helden“. Der Autor, der für seinen Roman Oskar 2019 den renommierten Glauser-Preis erhielt, organisiert genüsslich die Selbstdemontage seiner Figur, ohne nur einen Moment Zweifel an der Gefährlichkeit dieses Typus aufkommen zu lassen, mag er in seiner Hybris auch noch so lächerlich wirken.

Genüsslich erzählt er Halders Selbstdemontage und dessen Hybris

Halder. Kriminalroman Max Bronski Edition Nautilus 2021, 160 S., 16 €

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden