Sie sind faul, wehleidig und rechthaberisch. Vom wirklichen Leben haben sie keine Ahnung. Ihren Beruf haben sie nur deshalb gewählt, weil sie in einer anderen Branche keine Chance gehabt hätten. Trotzdem setzen sich die meisten von ihnen mit einer fetten Pension zur Ruhe, bevor sie das Rentenalter erreicht haben.
Sie sind kreativ und erfindungsreich. Wo es in unserer Gesellschaft brennt, sind sie zur Stelle. Über ihre Dienstpflicht hinaus, schaffen sie unermüdlich. Kaum haben sie ihren eigentlichen Arbeitsplatz verlassen, geht es am heimischen Schreibtisch weiter. Denn sie lieben ihren Beruf, auch wenn er nicht immer erfreulich ist.
Die Rede ist von unseren Lehrerinnen und Lehrern, und der Verfasser dieser Zeilen verbürgt sich für ihre Richtigkeit. Er muss es wissen, denn er ist einer von ihnen. Mal larmoyant, mal idealistisch. Mal verzagt, mal vorsichtig optimistisch. Und eben auch besserwisserisch, dozierend und eitel. Ein richtiger Lehrer halt, wie man ihn kennt. Ein hoffnungsloser Fall?
Die tapferen Schularbeiter, die gelegentlich die Rolle des tragischen Helden in Reportagen aus den sozialen Brennpunkten unseres Landes übernehmen dürfen, scheinen nur wenig auszurichten. Das deutsche Schulsystem produziert nämlich, glaubt man einschlägigen Studien, weder jene Top-Kräfte, die nötig wären, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, noch gelingt es ihm, Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft angemessen zu fördern. "Deutsche Schule: sechs setzen", formulierte griffig die taz, nachdem das interne Papier einer Expertengruppe der OECD vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt war.
Die international besetzte Delegation hatte insgesamt acht Schulen in unterschiedlichen Bundesländern im Rahmen einer Vorstudie für den OECD-Test "Pisa für Lehrer" besucht. Wahrlich keine repräsentative Grundlage für ein umfassendes Urteil, wie sich Kultusminister und Lehrerverbände festzustellen beeilten, aber immer gut für ein paar Schlagzeilen. Und vielleicht doch symptomatisch. Denn dass vieles besser sein könnte, würde niemand bestreiten, der mit der Schule in Berührung kommt, ob Eltern, Ausbildungsbetriebe oder Universitäten. Und natürlich die Lehrerschaft. Die schärfsten Kritiker schulischer Realität sind nämlich die Akteure, nur meinen sie eben selten sich selbst, sondern immer die anderen Kolleginnen und Kollegen.
So schimpft der Gymnasiallehrer auf die Grundschullehrerin, bei der seine Fünftklässler nicht einmal richtig schreiben gelernt haben, und an der Berufsschule fragt man sich, ob Bruch- und Prozentrechnen im Lehrplan integrierter Gesamtschulen nicht mehr vorkommen. Von den universitären Klagen über illiterate Germanistikstudenten ganz zu schweigen. Aber da wollen die Kultusminister ja nun Abhilfe schaffen und haben sich vor kurzem auf einen ganzen Katalog an Bildungsstandards geeinigt, die mit Abschluss der zehnten Klasse erreicht sein sollen. Bleibt nur die Frage, ob solchen Festschreibungen nicht ein ähnliches Schicksal beschieden sein wird, wie den Regalmetern fachlicher Richtlinien, die zu ignorieren sich viele Lehrer angesichts der realen Fähigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler seit langem gezwungen sehen. Und damit sind wir wieder bei der Kernfrage: Ist der deutsche Lehrer überhaupt reformfähig?
Um hier zu einer sinnvollen Antwort jenseits der in letzter Zeit so beliebten Polemik zu kommen, muss zunächst festgestellt werden, wo überhaupt das Problem liegt. Ist es die zu fachspezifische Ausbildung, die den pädagogischen Aspekt des Berufes vernachlässigt, wie der Bildungsforscher Klaus Klemm meint? Leiden Lehrer tatsächlich an mangelnder Lebenserfahrung, weil sie schlicht nicht mitbekommen haben, was außerhalb von Schule und Universität vor sich geht? Und streben sie vor allem deswegen in die pädagogische Nische, weil sie sich vor der Herausforderung durch das Unbekannte fürchten?
All dies mag im Einzelfall richtig sein, aber erklärt es, warum Unterricht häufig nicht nur langweilig, sondern auch ineffektiv ist? Warum Schüler ihren Nachmittagsjob ernster nehmen als die Schule? Und warum Lehrer oft von einem Gefühl völliger Überlastung geplagt werden, während sie ihre Umwelt als Freizeitkünstler wahrnimmt?
Das größte Problem des Lehrerberufs, so scheint es zumindest dem Verfasser nach mittlerweile mehr als 15 Jahren im Schuldienst, ist der permanent erfahrene Widerspruch zwischen der Freiheit des individuellen Unterrichts und den Zwängen des Systems. Sind Referendariat und Probezeit überstanden, redet niemanden mehr dem Lehrer in seine Unterrichtsgestaltung hinein.
Gleichzeitig gibt es Gesetzes- und Vorschriftensammlungen im Umfang großstädtischer Telefonbücher, in denen der Schulalltag bis ins Detail geregelt ist. Und die Schulaufsichtsbehörden, ständig bestrebt ihre Notwendigkeit unter Beweis zu stellen, sorgen fleißig dafür, dass die Papierflut nicht nachlässt. Außerdem unterhält jedes Bundesland pädagogische Institute, deren Mitarbeiter zumeist Lehrer sind, die aus Freude, dem Schuldienst zumindest für einige Zeit entkommen zu sein, mit Begeisterung fachliche Richtlinien produzieren, die manchmal schon mit ihrem Erscheinen Makulatur sind.
Aktive Lehrerinnen und Lehrer beobachten diesen bürokratischen Betrieb gewöhnlich mit einer seltsamen Mischung aus Misstrauen und Furcht, in die sich manchmal auch Verachtung mischt. Jede neue Verlautbarung wird in dem Bewusstsein zur Kenntnis genommen, dass die eigene Arbeit wieder ein wenig komplizierter wird. Dass die Lehrerschaft in den vergangenen 20 Jahren durch eine desaströse Einstellungspolitik im Durchschnitt erheblich gealtert ist, macht die Sache ebenso wenig besser wie die kürzlich erfolgte Erhöhung der Unterrichtsdeputate.
So ist es kein Wunder, wenn Lehrer auch auf sinnvolle Reformvorhaben argwöhnisch reagieren, wie beispielsweise die vormalige nordrhein-westfälische Schulministerin erfahren musste, als sie ihren Schulen mehr Selbstständigkeit schmackhaft machen wollte. Eine Suppe, die in Düsseldorf (oder irgendeiner anderen Landeshauptstadt) angerührt wurde, lässt man, besteht die Möglichkeit, eben gerne zurückgehen.
Unser Land braucht aber Lehrerinnen und Lehrer, die sich der Privilegien und auch der Verantwortung ihres Berufs bewusst sind. Doch dafür gehört die staatliche Gängelei der Schulen auf ein Mindestmaß beschränkt. Auch Freiheit muss nämlich gelernt werden.
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