Ich wurde in Jugoslawien geboren und wurde 1991 Kroatin, ohne etwas dazu zu tun. Wie heißt es so schön: In diesem Landstrich weiß man nie, welchen Pass man morgen hat. Meine Eltern hatten erst den italienischen, meine Urgroßeltern sogar noch den österreich-ungarischen und mussten damit leben, dass sich ihre Staatsbürgerschaft viermal in ihrem Leben änderte. Wenn meine Großmutter noch zehn Jahre lebt, bekommt sie vielleicht noch einen europäischen Pass: den fünften dann."
Die attraktive Staatsanwältin aus dem kroatischen Pula ereifert sich regelrecht, als sie dem Vizequestore Proteo Laurenti aus dem italienischen Triest von ihren Identitätsproblemen berichtet. Man kann sich denken, dass es kurze Zeit später zu einer völkerverbindenden Affäre zwischen den beiden kommen wird. Schließlich befinden wir uns in einem der populären Kriminalromane des deutschen Autors Veit Heinichen, deren Plots sich nicht selten aus der komplizierten geopolitischen Situation im kroatisch-slowenisch-italienischen Grenzgebiet speisen.
Nachzulesen ist das aufschlussreiche Zitat aus Heinichens Krimi Die Toten vom Karst in einer Anthologie, deren Herausgeberinnen wissen wollten, "wie sich die zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren dieses Land vorstellen, das zur Republik Venedig, zur Habsburger Monarchie und zu Jugoslawien gehörte und heute selbstständig ist und seine Aufnahme in die Europäische Union erwartet". Die Rede ist von Kroatien, einem Staat, der sich, anders als sein eher ungeliebtes Nachbarland, einer gewissen Zuneigung hierzulande erfreut. So ließe sich ein Buch mit dem Titel 20 Liebeserklärungen an Serbien schwerlich vorstellen, es sei denn, die Texte stammten allesamt von Peter Handke.
Nun zeugen viele Beiträge dieses Bandes, anders als sein Titel Südliche Luft suggeriert, weniger von der neuerwachten Adriabegeisterung der Deutschen, sondern dokumentieren die Narben der kriegerischen Auseinandersetzungen, von denen die Lösung Kroatiens aus dem jugoslawischen Vielvölkerstaat begleitet war. So in Beatrix Kramlovskys eindrucksvoller Geschichte Das Meer zwischen den Ästen, deren Schrecken sich zunächst nur unterschwellig bemerkbar macht, um einem am Ende förmlich den Atem zu verschlagen. Oder in der bitteren Story, die Richard Wagner über Janko zu erzählen weiß, einen ethnischen Kroaten im rumänischen Banat, der sich plötzlich im Besitz eines kroatischen Passes findet, eine Reise nach Split unternimmt und von einer verirrten serbischen Kugel getroffen wird. In meisterlicher Lakonie konfrontiert Wagner die Sehnsüchte der so genannten einfachen Leute mit den Winkelzügen nationalistischer Politiker, während der in Zagreb geborene Schriftsteller Nicol Lubic in seiner Kurzgeschichte An der Krka die Macht des Vergangenen über die Gegenwart zeigt.
"Nichts gegen Kroaten", bescheidet Maja dem Ich-Erzähler, "aber ich könnte nie mit einem zusammen sein." Maja ist Serbin und lebte bis zu ihrem 18. Geburtstag in der Stadt Knin, die im Sommer 1995 von kroatischen Truppen zurückerobert wird, nachdem sie vier Jahre lang als Hauptstadt der "Republik Serbische Krajna" fungierte. Vor dem Kroatienkrieg waren 79 Prozent der Bevölkerung Serben, heute leben hier zu 76 Prozent Kroaten. "Wusstest Du", fragt Maja den Erzähler, "dass sie 150.000 Serben aus der Gegen vertrieben haben?" Aber dieser denkt auch daran, dass zuvor die kroatischen Bewohner verjagt und ihre Häuser geplündert wurden. "Nach allem", lautet der letzte Satz dieser Geschichte. Nach allem, was geschehen ist, soll das heißen, und viel mehr gibt es auch nicht zu sagen.
Das zeigen die eher diskursiven Texte des Bandes, persönliche Erinnerungen an das vergangene Jugoslawien und die Schwierigkeiten, mit der Entwicklung des Landes seit Ende der achtziger Jahre zurecht zu kommen. Die in Berlin lebende Österreicherin Erica Fischer gerät zwischen die Fronten. Einerseits engagiert sie sich für die kroatische Frauenbewegung, andererseits muss sie feststellen, dass auch Feministinnen sich für nationalistische Propaganda einspannen lassen. Kritik wird blitzschnell als Propaganda für die andere Seite interpretiert, die ideologischen Reflexe funktionieren tadellos.
Natürlich finden sich auch andere Texte in dieser Anthologie: stimmungsvolle Landschaftsbeschreibungen, literarische Kartographierungen und Geschichten, in denen Kroatien mehr als Kulisse dient. Doch die meisten Beiträge kommen nicht los von dem, was die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort als "die verhängnisvolle Geschichte und schwer zu verstehende Politik" bezeichnen. Und genau das ist es, was dieses Buch lesenswert macht.
Alida Bremer, Silvija Hinzmann, Dagmar Scherf (Hg.) Südliche Luft. 20 Liebeserklärungen an Kroatien. 219 S., List, Berlin 2008, 220 S., 8,95 EUR
#ff0000>Wenn Sie dieses Buch bestellen möchten: Zum Shophref>
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.