70 Jahre Oskar Lafontaines „Langer Marsch“

Glückwunsch Oskar! Über grandiose Erfolge und Fettnäpfchen im Scheitern des Oskar Lafontaine, der, heute, am Montag, den 16. September 2013, 70 Jahre alt wird

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Oskar Lafontaine wird verehrt, aber auch verächtlich links liegen gelassen. Oskar galt den Briten und den Investmentbankern aus aller Herren Ländern in der London City 1998 als Europas gefährlichster Mann, der als rotgrüner Bundesfinanzminister womöglich noch den vereint hochorganisierten Deregulierern des europäischen Finanzmarktes in die Parade fahren konnte, was er erklärtermaßen wollte - und wurde zum Prinzen, der die deutsche Linke aus ihrem "Tausendjährigen" Dornröschen Schlaf wachküsste.

Über grandiose Erfolge und Fettnäpfchen im Scheitern des Oskar Lafontaine, der, heute, am Montag, den 16. September 2013, 70 Jahre alt wird

Oskar Lafontaine ist nicht nur die im politischen Koordinatensystem Deutschlands, Europas umstrittenste, schillerndste und bemerkenswerteste Figur im Parteien- und Medienspektrum, sondern jemand, der mit seinen Kämpfen, seiner nachhaltigen Belastbarkeit im Denken und Handeln, manche nennen es Brüche seiner politischen Biografie Eingang ins kollektive Bewusstsein der Menschen gefunden hat.

An keinen deutschen Nachkriegspolitiker lässt sich an der Art seines Umgangs mit Eintritt und Rücktritt von seinen Ämtern, seismografisch, so deutlich die Wahrnehmung von innerdeutschen, innereuropäischen Verschiebungen von politischen Kontinentalplatten nachbilden , wie in der Person Oskar Lafontaines

Die Begeisterung, die Oskar Lafontaine unter SPD Mitgliedern, in SPD- Sympathisanten Szenen, erst im Saarland, dann in Westdeutschland, später als SPD- Vorsitzender in vereinten Deutschland durch die Kraft seiner Worte, seiner Gesten auslösen und nähren konnte, ist Legende.

Manche nannten ihn schon respektvoll hier, ironisch alarmierend da, den Bonaparte vom Saarland, was er in seinem eindeutigen Anspruch an der Macht sein zu wollen, aber nicht im Umgang mit dieser, durchaus war.

Denn anders als der historischen Napoleon Bonaparte, wusste Oskar Lafontaine noch immer rechtzeitig, nicht nur den Finger in der politischen Furche zu heben, um die Windrichtung zu orten, sondern aus der Furche zu steigen und einen neuen Pfad auf seinem Langen Marsch zur Durchsetzung seiner politischen Ziele ausfindig zu machen

Oskar Lafontaine war der jüngste Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt, ämlich Saarbrücken im Saarland, Ministerpräsident des Saarlandes, sein politischer Ziehvater in Deutschland war eindeutig Willy Brandt.

Oskar Lafontaine war SPD-Parteivorsitzender, Bundesfinanzminister, nach seinem spektakulären Rücktritt von allen Minister- und SPD Ämtern, im März 1999 Privatier, Buchautor "Die Wut wächst">>Bil<<-Kolumnist und schließlich im Jahre 2005 Wegbereiter und Vorsitzender der Linkspartei.

Niemand anderes hat nach Willy Brandt die Bedeutung von Mehrheiten links von der Mitte in Deutschland für die gesellschaftspolitische Linke so nachdrücklich ins Bewusstsein gehoben, wie Oskar Lafontaine.

Allein dafür sei ihm Dank, gerade weil Oskar Lafontaine dabei, wie ein hochmotiviert, austrainiert, politisch nervöses Renn- und Zugpferd, nicht immer ein leicht zu nehmender Zeit- und Parteigenosse war, wie sein Vorbild Willy Brandt, und hoffentlich im besten Sinne bleiben wird.

Unberechenbar kann Oskar Lafontaine nur jenen gelten, die die Koordinaten der Bahngleise des Zuges der Zeit aus dem Auge und Sinn verloren haben.

Wer da allerdings meint, er müsse nur auf das Sinne und Trachten Oskar Lafontaine starren, dann wüsste er, wohin der Zug der Zeit fährt, der hat weit gefehlt, dem zeigt Oskar Lafontaine schon einmal. kumpelhaft aufmunternd hier, akademisch kokett geerdet da, eine „Gottschalk im Nacken“ Pinocchio Nase

Manch behaupten, Oskar Lafontaine stoße sie menschlich und politisch ab, dabei lädt er jene und andere gerne, zu Debatten aufgelegt, zu munteren Vorstößen, Anstößen Richtung Politik und Parteien Gesäßlandschaft im Bund, Ländern, Kommunen ein.

Provokante Ratlosigkeit, angesichts der Flachheit des Niveaus mancher Debatten und politischen Kontrahenten in den Medien, wird Oskar Lafontaine gerne als Hochmut ausgelegt

Da scheint dann für Oskar Lafontaine Richtung seiner Mitstreiter und Kontrahenten der anekdotische Spruch zu gelten:

"Wer im Thema seiner Mitte nicht gewiss ist, soll wenigsten mit einem Rest an Gewissen seinen Rand halten"

Warum hat Oskar Lafontaine sich im Jahre 1987 und 1990, als ihm der Parteivorsitz der SPD vom damaligen SPD- Vorstand angetragen wurde, verweigert und verzichtet?

Hing das auch mit seiner traumatisierenden Erfahrung eines Attentats auf sein Person als SPD. Kanzlerkandidat, mitten im Bundestagswahlkampf 1990 zusammen?

1995 stellte sich Oskar Lafontaine, vom damalig noch amtierenden SPD- Vorsitzenden Rudolf Scharping ermuntert, selber als Gegenkandidat für eine Kampfabstimmung bei der Wahl des neuen SPD- Vorsitzenden auf und gewann spektakulär gegen Rudolf Scharping, den ersten von der SPD- Basis 1992 gewählten SPD- Vorsitzenden, auf dem Mainzer SPD Parteitag

Oskar Lafontaine überließ Gerhard Schröder 1998, als Mannschaftsspieler um des Wahlerfolges der SPD willen, bereitwillig die Kanzlerkandidatur, obwohl er als Parteivorsitzender selber die erste Wahl für diese Kanzlerkandidatur gewesen wäre.

Bei seinem Rücktritt von allen Ämtern im März 1999, sagte Oskar Lafontaine nur ein Wort

"Das Mannschaftsspiel stimme nicht mehr"

Oskar Lafontaine hat wie Micky Maus, den Bogen raus.

Oskar vermochte grandiose Spannungsbögen in seiner politischen Laufbahn zu spannen und treffsicher bis zum Schuss, will sagen Abschluss, durchzuhalten, wenn er sich in den 80er Jahren als wirtschaftspolitischer Modernisierer in der SPD profilierte, mit den Gewerkschaften verkrachte, um 30 Jahre später zusammen mit Gewerkschaftern, wie Klaus Ernst u. a., die WASG zu gründen.

Oskar Lafontaines indirekte Art, als saarländischer Ministerpräsident, 1992, angesichts einer wachsenden Kostendrucks auf die Bundesländer, Städte, Kommunen, durch die finanziell und ordnungspoltisch desaströse Asylpolitik der Bundesregierung, das prekäre Finanzregime zwischen Bunde, Ländern, Kommunen zur Sprache zu bringen, ohne hörbar konkret Vorschlage zu machen, brachte ihm, z. T. berechtigt, beachtliche Kritik ein.

Manchmal greift Oskar Lafontaine im Eifer erhitzter Gefechte nicht nur zum Säbel, sondern zum politischen Flammenwerfer, als sei er auf politischen Brandbeschleuniger ausgebildet, wenn er im Jahre 2005, ansatzlos den Begriff "Fremdarbeiter", ungefiltert, in die Öffentlichkeit hinausposaunt, ohne diesen historisch unselig belasteten Begriff von seiner Herkunft her näher zu erläutern

Oskar Lafontaine war die meiste Zeit seines politischen Lebens ein Mann der Exekutive, Oberbürgermeister oder Ministerpräsident, Bundesminister und bewahrte sich doch den Blick eines Politikers. der vom Westen, im Saarland, fast mit einer französisch linke Brille auf die Bundespolitik schaute, als lebte er mental verwandt im Osten Deutschlands, Europas.

Für linke Politiker in Frankreich war das nach dem Zweiten Weltkrieg in kritischer Solidarität mit dem real existierenden Sozialismus im Ostblock nahezu eine Selbstverständlichkeit.

Warum da nicht auch für den Saarländer Oskar Lafontaine?

Oskar Lafontaine hat eben nicht nur deutsche Sozialdemokraten, sondern europäische, und da vor allem französische Sozialisten, Kommunisten als Ziehväter gehabt

Oskar Lafontaine ist ein Politiker, zwischenzeitlich bundesdeutscher Nomenklatur, der nicht nur auf Wenden wartet, sondern sich selber in seinen Meinungen, Haltungen, Willensbekundungen wendet, wenn er klüger geworden ist.

So ist es eben konsequent, dass Oskar Lafontaine, der einstige stramme Parteigänger Helmut Schmidts, heute von diesem als der "Gottseibeiuns" der SPD, auf eine Zigarette, zusagen durch die Pfeife geraucht, kommuniziert wird. weil Helmut Schmidt mit DER ZEIT bleibt, was er war und ist, Transatlantiker

In den frühen 80er Jahren galt Oskar Lafontaine als Star der ÖKOPAXE mit der gesellschaftspolitischen Tendenz zum globalen Linken.

Experimentierfreudig hantierte Oskar Lafontaine auch schon mal auf einen "Popper", vorübergehend, in ökonomischen Fragen liberal herum, legte sich mit den Gewerkschaften an, von denen er längere Maschinenlaufzeiten, mehr Flexibilität und 1985 Lohnabstriche bei der Arbeitszeitverkürzung forderte - wirtschaftspolitisch stand er damals in der Tradition von Helmut Schmidt, mit direktem Draht zum Wirtschaftsphilosophen, Karl Popper

In den 90er Jahren wurde Oskar Lafontaine zum traditionalistischen Linken, zum Kritiker des wirtschaftspolitischen Neoliberalismus Karl Popper Prägung.

Dann im neuen Jahrtausend - tempi passati - wurde Oskar Lafontaine zu jenem Sozialisten, wie er heute leidenschaftlich unterwegs ist.

Wer Oskar Lafontaine einen typischen Opportunisten schimpft, kämpft mutmaßlich mit seinem Selbstärger, weil er den Zug der Zeit verpasst hat.

Was sagte noch Michail Gorbatschow am Vorabend des Mauerfalls in Berlin 1989 und e meinte sich selbst dabei:

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben"

Vom Saarland, seiner bis heute lebensmittigen und politischen Heimat, lässt sich Oskar Lafontaine heute, in Kenntnis langer Zeitschienen, wenn es um Brüssel, die EZB Geldmengenpolitik geht, als Euro- Skeptiker vernehmen.

Manche deuten das, er propagiere den Austritt Deutschlands aus dem Euro Währungsraum.

Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus, wenn die Sparpolitik im Euroraum durch die EZB weiter im Bunde mit der Bundesregierung u. a. maßgeblichen Eurostaaten, unvermindert beibehalten, durchregiert wird, wird es nicht nur nach der Terminologie Oskar Lafontaines, sondern auch der des Wirtschaftsprofessors Max Otte (s, dessen Buch >>Der Crash<<, 2005) und der Analyse des kapitalismuskritischen Autors Wolfgang Streeck mit seinem Bestseller >>Gekaufte Zei<<, unausweichlich zur Auflsösung des Euroraumes in seine Bestandteile kommen.

Die einstigen Kampfgefährten der rot-grünen Koalition - Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily - sind mittlerweile Rentner, Pensionäre in Personalunion als Politikberater (Gazprom, Nabucco, BMW, Siemens) oder Unternehmer.

Oskar Lafontaine liegt das alles fern.

Oskar Lafontaine pflegt den Unruhestand und feiert heute seinen 70. Geburtstag.

"Herzlichen Gückwunsch!" Oskar Lafontaine an dieser Stelle auf dieser Freitagswellle!"

JP

http://www.zeit.de/2012/23/Linke-Lafontaine/komplettansicht
Oskar Lafontaine Der falsche Enkel
Quelle DIE ZEIT, 31.5.2012 Nr. 23

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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